THE MARS VOLTA  
28.11.2003 @ Szene

Das Erwähnen von Schweineblut im Zusammenhang mit der Musik MARS VOLTAs hat es mir sehr angetan. Und nachdem ich die Band rund um Sänger Cedric Bixler und Gitarrist Omar Rodriguez live gesehen habe, hat sich das nicht unbedingt geändert. Wieso? Wenn Bier für gewöhnliche Rockmusik steht, steht Schweineblut für das, was THE MARS VOLTA machen. Nicht ganz klar, was ich meine? Nähern wir uns einmal der Materie.
Rockmusik war das, was einer vollen Szene da geboten wurde, jedenfalls nicht. Das steht fest. Viel eher eine auf Musik und (gewissermaßen) Tanz konzentrierte, aktionskünstlerische Angelegenheit irgendwo zwischen Jazzkonzert und Selbstdarstellung Bixlers. Der Versuch einer deutlicheren Beschreibung wird wohl scheitern.

Wollte man dieses Spektakel in seinem Kopf nachinszenieren, folgende Regieanweisungen gäbe es zu beachten: ein Konzertsaal, angefüllt mit neugierigen Leuten, denen verboten wird Stage zu diven oder sonstige pubertäre Anwandlungen zu zeigen. Die Künstler wollen schließlich in ihrem Schaffensdrang nicht beeinträchtigt werden durch Banausen, die meinen, sie müssen, anstatt andächtig und verständnisvoll zu lauschen – oder zumindest so zu tun – ihre Effektgeräte zertreten oder sich die Knochen brechen. Vor dieser Ansammlung kulturhungriger junger Menschen steht eine Bühne, umrahmt von einem riesigen Tuch im Hintergrund auf dem Ratten verfremdet dargestellt werden. Auf der Bühne befinden sich zunächst nur die Instrumente, wobei besonders die Verstärker (vom Publikum aus links ein Amp Marke Orange, rechts einer Marke unbekannt weil von einer mexikanischen Flagge verhängt) hervorstechen. Keyboards rechts und Percussion links stechen ihrer Rolle in der Musik gemäß auch optisch nicht all zu stark ins Auge.
Nach einiger Wartezeit und ohne Vorband wird die Bühne nun von den Künstlern betreten, welche sich von da an bis zum Ende ihres Auftrittes aller außermusikalischen Äußerungen entbehren. Und – obwohl sich das alles nach Ionesco anhört - bleibt die größte Absurdität, dass die Zuschauer sich nicht hinsetzen konnten. Denn was MARS VOLTA auf der Bühne zelebrieren, ist wirklich toll anzusehen und -hören, vorausgesetzt man mag das aktuelle Werk MARS VOLTAs „De-Loused In The Comatorium“ sowie originelle Improvisationen, die ein Lied schon einmal auf eine viertelstündige Reise schicken können, Destination natürlich unbekannt. Aber es ist eben verdammt mühsam, sich das alles wie in der Kirche stehend antun zu müssen. Wenn man als Künstler sich selbst und seiner Kunst einen Platz einräumen will, der über dem einer nach Bier stinkenden Rock’n’Roll-Band steht, ist es ja durchaus legitim, sein Publikum darum zu bitten, sich doch bitte wirklich auf das Gebotene zu konzentrieren. Aber dann darf man sie nicht dastehen lassen wie salzburgerische Großmütterchen vor der demütig entgegengenommenen Kommunion. Moderne Kunst als Überwindung der biederen Populärmusik ja, aber dann bitte richtig. Wer Respekt vor und ernsthafte Auseinandersetzung mit Kunst verlangt, muss auch die Voraussetzungen dafür bereitstellen.

Wenn man von diesem Manko absieht, sich also ganz auf die künstlerische Darbietung konzentriert, gibt es aber weiter nichts zu meckern.
Wie bereits erwähnt lange, immer aber inspirierte Improvisationen, bei denen vor allem die Bandköpfe, die teilweise anmuteten wie die Latinoversionen von Jimmy Page und Robert Plant auf LSD nach der Lektüre einer Arbeit zur postmodernen Kunstästhetik, glänzten. Der gegen die beiden Frontmänner mit ihren Afros eher gesichtslos wirkende Rest der Band konnte musikalisch auch mehr als nur überzeugen, wirkte allerdings etwas weniger selbstinszenierend. Macht aber nichts, schließlich will man ja vor lauter Bäumen (tollen Eindrücken) nicht den Wald übersehen. Da Qualität und Quantität voneinander unabhängige Faktoren sind, störte mich das Fehlen einer Zugabe überhaupt nicht (auch wenn schätzungsweise sechs Songs nach sehr wenig klingen), im Gegenteil: nicht nur, dass es ansonsten vielleicht zuviel des Guten gewesen wäre, hätte es auch gar nicht ins Konzept gepasst, wären die Musiker unter „Zu-ga-be! Zu-ga-be!“-Rufen auf die Bühne zurückgekehrt. Den ohnehin schon den gesamten Abend latent vorhandenen Beigeschmack der Präpotenz konnten THE MARS VOLTA dadurch allerdings auch nicht lindern…


Kronos
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Beitrag vom 01.12.2003
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