SOUTHSIDE-FESTIVAL: RED HOT CHILI PEPPERS   A   DIE ÄRZTE   SOULFLY   GARBAGE   NO DOUBT   TELEVISION   NEW ORDER  
22.06.2002 @ Neuhausen ob Eck

Wer weiß schon, was Capsicum frutescens ist. Fast keiner. Capsicum frutescens regt die Bildung von Endorphinen an, das heißt Glückshormonen. Die wiederum dämpfen den Schmerz und die Stressreaktion, sorgen für Wohlbehagen. Capsicum frutescens ist nichts anderes als Chili-Pfeffer. Und der ist bekanntlich rot, wohl dosiert im Essen wird einem mit jedem Biss heißer. Man füge die Wörter zusammen und erhält: RED HOT CHILI PEPPERS. Die vier Amerikaner sorgen auch für Wohlbehagen, immerhin können sie während eines Konzertes einen Hit nach dem anderen runterspielen. Zur Freude der 34000 Menschen, die wegen den RED HOT CHILI PEPPERS am 22. und 23. Juni zum Southside-Festival ins deutsche Neuhausen ob Eck, unweit des Bodensees, angereist waren.
Mit 34000 Besuchern hatten die Veranstalter nicht gerechnet. Noch vor zwei Jahren, nachdem das Open Air von München nach Neuhausen kam, stand die Zukunft des Festivals auf der Kippe. Damals kamen nur rund 13000 Fans, die unter anderem HIM, BUSH und IN EXTREMO sehen wollten. Vergangenes Jahr waren es schon etwa 20000 bei Bands wie THE OFFSPRING, DIE TOTEN HOSEN, PLACEBO, TOOL und PARADISE LOST, diese Zahl sollte für eine Neuauflage im Jahr 2002 reichen. Noch vor Wochen ging Veranstalter Scorpioconcerts aus Hamburg davon aus, dass es um die 25000 Besucher werden sollten. Demnach um 9000 Menschen verschätzt, rund 35 Bands standen auf zwei Bühnen.
Und eben wegen den RED HOT CHILI PEPPERS waren die Massen gekommen. In Neuhausen gaben sie eines von zwei exklusiven Festival-Konzerten. Sie enttäuschten nicht. Musikalisch ließen sie keine Wünsche offen, Sänger Anthony Kiedis konnte auf seine Mannen zählen. Sie peitschten ihre Lieder auf den Punkt genau ins Publikum, keine Abweichung zu den Original-Songs auf den Platten. Was für viele vielleicht auch ein Manko sein könnte, etwas weg von der geraden Studiolinie hat bislang noch keinem Live-Konzert geschadet. Spaß machte Bassist Flea, er verstand es, mit dem Publikum Kontakt aufzunehmen. Im Gegensatz zu Sänger Kiedis, der sich damit etwas schwer tut. Er flitzt lieber von einem Ende der 20 mal 30 Meter großen Bühne zum anderen. Doch nicht nur mit der Kommunikation tat er sich schwer. Während seine Bandmitglieder an den Instrumenten keine Wünsche offen ließen, hatte der Shouter Probleme mit seiner Stimme. Immer wieder traf er den Ton nicht richtig, was vor allem bei "Parallel Universe" von der "Californication"-Scheibe auffiel: Durchgehend lag Kiedis mit der Tonlage daneben. Doch wen störte es. Gerade eben bei den "Californication"-Songs hatte der Shouter Unterstützung aus dem Publikum, keiner, der nicht mitsang. Einer der Höhepunkte war "Give it away" von "Black Sugar Sex Magik", die Scheibe, mit der die RED HOT CHILI PEPPERS nach neunjährigem Bestehen über Nacht berühmt wurden. Heute dürfen sich die vier Typen aus L.A. nicht beklagen, allein über zwölf Millionen verkaufte Alben der "Californication" brachte ihnen genügend Geld in die Portokasse. Im 8. Juli erscheint ihr neuer Silberling "By the way". Die Kostprobe davon beim Southside ließ eine etwas ruhigere Linie der R.H.C.P. durchblicken.
Wie man wirklich rockt haben A gezeigt. Die Briten vollbrachten mit ihrem neuesten Album Hi-Fi Serious eine Punktlandung, mischen ganz vorne mit in den Charts. Beim Southside überzeugten sie vor allem diejenigen, die nicht unbedingt wegen A gekommen waren. Man nehme als Beispiel nur ihr "Old Folks", eines der besten Stücke der Band. Rumms, da blieb kein Bein still am Fleck stehen. Selbes gilt für ihre aktuelle Hit-Single "Nothing".
Von ihrem Können überzeugen mussten DIE ÄRZTE nicht. Sie sind und bleiben eine Live-Band. Tags zuvor feierten die Drei noch in ihrer Heimat Berlin-Kreuzberg ihr 20-jähriges Bestehen. In Neuhausen begannen sie ihr Konzert wie jedes: Mit einer Grindcore-Einlage. Klar, ihre Instrumente haben die Jungs im Griff, allen voran Bela B., der das ganze Konzert über im Stehen die Felle vermöbelt. Mit ihren Scherzen wissen Bela und Farin Urlaub immer wieder, das Publikum zu unterhalten. Das macht sie eben zu einer reinen Live-Band. Etwas im Schatten steht dabei Bassist Rod. Klar ist auch, dass ihre Tour zur aktuellen Scheibe "Runter mit den Spendierhosen, Unsichtbarer!" restlos ausverkauft war. Was aber nicht klar ist: Wieso haben die Ärzte nicht mehr ältere Lieder gespielt? Die sind es doch gerade, die die Generationen verbinden. Im Gepäck hatten sie "Elke" und ihr politisches Statement "Schrei nach Liebe". Wo aber waren Songs wie "Westerland" und "Ist das alles"? Fehlanzeige, was eigentlich schade war. Lob verdient Farin Urlaub für eine Aktion: Ein Crowd-Surfer hatte sich über den Pressegraben vorbei an den Securities auf die Bühne geschmuggelt. Die Sicherheitsmänner waren schon dabei, den unliebsamen Gast auf der Bühne mit "netten" Gesten runter zu bitten. Urlaub stellte sich vor seinen Fan: "Ei, lasst ihn in Ruhe. Er hat’s geschafft." Kompliment, da gibt es ganz andere Musiker, die niemanden außer sich auf der Bühne haben wollen.
Brasilien war beim Southside mit SOULFLY vertreten. Was für ein Kracher, SEPULTURA lässt grüßen. Ist ja auch kein Wunder, denn es steht kein geringerer als Max Cavalera, Ex-SEPULTURA-Shouter, am Mikro. Krach von der Basis lässt sich da nur sagen. Die nicht wirklich vielen eingefleischten SOULFLY-Fans bei diesem Open Air gehen vor allem beim SEPULTURA-Klassiker "Roots" ab. Den hatte Cavalera neben den SOULFLY-Stücken mitgebracht, weise Entscheidung. Nach vorne droschen die Jungs auch ihre Songs der aktuellen Scheibe "3". Krach auf der Main stage, ruhigere Töne auf der Zeltbühne.
Jasmin Tabatabai stand mit Engelsgesicht und Akustik-Gitarre vor ihrem Mikro. Was hatte sie bitte beim Southside zu suchen? Nichts gegen ruhigere Musik. Aber etwas gegen monotone Chill-Out-Mucke, die einem ziemlich schnell auf die Nerven ging. Okay, Tabatabai sang die Lieder für den Film Bandits, in dem sie auch mitspielte. Damit hat es sich aber auch schon, ihre Stimme war, zumindest bei diesem Open Air, nicht wirklich der Kracher.
Anders dagegen GARBAGE. Frontfrau Shirley Manson rockte, was das Zeug hielt. Nicht schwer, immerhin ist die vierköpfige Band mit ihren Scheiben gut am Start und hatte nie wirklich ein musikalisches Tief. Als Hymnen lassen sich "Milk" und "Beautiful Girl" bezeichnen, was den 34000 Menschen vor der Bühne gefiel. Gleiches gilt für NO DOUBT und ihren einzigen zwei guten Songs "Don’t speak" und "Just a girl".
Optisch schwer gealtert sind TELEVISION. Was aber auch kein Wunder ist, immerhin stehen die Jungs seit einer Ewigkeit auf der Bühne. Tom Verlaine und seine Mitstreiter können es aber immer noch. Sie boten eine grandiose Mischung aus Minimalismus des Punk und irrlichternden Gitarrenexzessen der psychedelischen Ära. Das ist seit jeher ihr Markenzeichen. Erstaunlich, dass ihr Publikum bei diesem Auftritt recht jung war. Stilistisch waren die Jungs der New Yorker New Wave Szene nicht zu übertreffen. Nicht zu überbieten war auch die Show von New Order. Sie gaben dem Neuhausener Festival den krönenden Abschluss. Ihre elektronischen Soundteppiche werden durch eine Gitarrenästhetik ergänzt, die den Zuhörer absolut in ihren Bann zieht.
NEW ORDER waren ohnehin die ersten, die sich in der Postpunk-Zeit über den Grad zwischen Gitarre und Synthesizer hinweg setzten. Mit "Get Ready" präsentierten Sänger Bernard Sumner und seine drei Mitstreiter ihr neuestes Album den Southside-Fans. Und auch auf der Bühne verstanden sie es, eine doomige Sphäre zu erzeugen, die teilweise an gute Zeiten der SISTERS OF MERCY erinnerte, aber auch an die Klangmelodien von TIAMATs "Clouds" und "Wildhoney". Zugegeben: Die Spannbreite des Vergleichs ist groß, aber nicht ganz abwägig. Nur haben NEW ORDER doch noch etwas mehr Beat im Blut.


Philipp
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Beitrag vom 01.07.2002
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