Interview mit IN EXTREMO - Nur keinen Stress, wir haben Zeit


Vor dem Interview traf ich auf Kollegen vom Dark Scene Zine, mit denen ich dann auch gleich zusammen das Interview führte. Einige Fragen sind folglich nicht von mir, es steht aber, der Einfachheit wegen, hier vor jeder Frage trotzdem mein Name. Das Interview war recht entspannend, da "Das Letzte Einhorn" (der Sänger von IN EXTREMO) total gut gelaunt war und auch immer wieder meinte: "Nur keinen Stress, wir haben Zeit".

Lisi: Hallo, wie seid ihr dazu gekommen, solch mittelalterliche Musik zu machen?

In EXTREMO: (lacht) Wir kommen eigentlich aus diesem Bereich. Wir machen seit 4,5 Jahren Rockmusik, aber ich habe schon 1990 mit "Piemonte" auf Märkten mittelalterliche Musik gemacht. Später kamen noch zwei Leute dazu und ab 1995 gab es IN EXTREMO, jedoch als rein akustische, mittelalterliche Band. Und davor haben wir schon in sämtlichen Mittelalter-Bands zusammen gespielt; ich mache also bereits seit 12 Jahren mittelalterliche Musik.

Lisi: Ihr habt somit als Spielmänner angefangen...

IN EXTREMO: Ja, ich habe Straßenmusik gemacht, mit Dudelsäcken und Trommeln, richtig rumgeplaumlgt ( mir nicht bekannter Dialektausdruck, den ich sinngemäß als rumdudeln, rumziehen oder rumhängen übersetzten würde ;)), so wie sich das gehört.

Lisi: Habt ihr da auch Geld verdient?

IN EXTREMO: Auch; in Anfangstagen war das so, dass du echt nur eine Sammelschale gehabt hast. Da war die Kohle auch gleich wieder um die Ecke gebracht, in die nächste Schenke getragen oder so. Aber dann kam es auf, dass man auf den Mittelaltermärkten mit Gage auftrat, was für uns natürlich ganz gut war.

Lisi: Wie kommt ihr zu euren Texten? Beherrscht ihr die Sprachen, in denen ihr singt?

IN EXTREMO: Nee, die deutschen Texte sind von uns. Die fremdsprachigen sind Originaltexte aus dem Mittelalter. Auf dem neuen Album ist ein Song namens " Nature nous semont", ein altprovenzialisches Textlein aus dem 11. Jhdt.; das war für mich der erste Wehrdienstverweigerer. Der Text lautet etwa so: "In der Natur meines Herzens bleibe ich lieber in der Schenke bei den Weibern und geh` nicht in den Krieg". Es geht darum, dass ein General in eine Schenke kam und die jungen Burschen zum Kriegsdienst aufforderte. Ein Spielmann versteckte sich unter dem Rock von einem Weib und sagte: "Ihr könnt mich mal mit eurem Krieg". So ist die ungefähre Übersetzung. Das fand ich total geil. Ich habe den altprovenzialischen Text ins Französische übersetzten lassen und von da ins Deutsche, habe den komplett umgeschrieben und genauso retour übersetzten lassen. Ich kann die Sprachen, in denen ich singe nicht auswendig, aber von dem, was ich singe, kenne ich natürlich jedes Wort. Es würde niemals ein Text von IN EXTREMO veröffentlicht werden, der erstens mit negativen Seiten zu tun hat und bei dem wir zweitens nicht wissen, wovon wir singen. Du musst dich mit den Texten schon richtig beschäftigen.

Lisi: Die Texte sind also nicht ganz original und es ist dein Einfluss darin vorhanden.

IN EXTREMO: Ja. Wir haben auch einiges von der "Carmina Burana". Das ist eigentlich die bekannteste mittelalterliche Liedersammlung, die es gibt. Da gibt's einerseits das Dreckige und Räudige und andererseits das Puristische mit ein bisschen Schöngeist dabei, à la "Ach, ich sitze mit dir am Kamin..", das ist natürlich nicht so unsere Sache, wir suchen dann schon das Dreckige raus. Die Musik ist aber komplett von uns.

Lisi: War das Interesse für Mittelalter bei dir schon früh vorhanden, oder ist das erst mit den Leuten gekommen, die du kennengelernt hast?

IN EXTREMO: So 88/89 war ich das erste Mal auf einem mittelalterlichen Markt, da habe ich damals eine Band gesehen, von der ein Mitglied jetzt bei den INCHTABOKATABLES ist. Das hat mich total begeistert. Ich habe damals Rock/ Punk gespielt, aber auch Blues, damit bin ich groß geworden. Zwei Jahre später bin ich auf dem Mittelaltermarkt gestanden und hab` getrommelt.

Lisi: Wie kommt es, dass ihr auf eurem neuen Album viel härtere Gitarren-Riffs verwendet? Das ganze Album klingt für mich metal-lastiger.

IN EXTREMO: Naja, wir sind ja auch eine Rockband. Und wir haben einen neuen Gitarristen, der auch schon seit fast zwei Jahren dabei ist, als Thomas wegen Krankheit aussteigen musste. Er hat natürlich auch einen neue Einflüsse mitgebracht. Wir wollten das Ganze auch härter machen, das ist mehr unser Ding. Aber ich finde das eigentlich nicht soo hart.

Lisi: Naja, wenn man`s mit den früheren CDs vergleicht.

IN EXTREMO: Ja klar. Wir haben diesmal auch ganz anders aufgenommen. Wir wollten einfach eine Weiterentwicklung. "Weckt die Toten" haben wir damals in zehn Tagen eingespielt, mit Mixen und Allem. Da ist der Sound natürlich nicht so toll gewesen; das hat finanziellen Hintergrund gehabt. Von Platte zu Platte gibt's da eine Weiterentwicklung, was uns natürlich freut.

Lisi: Bei euren Texten spielt manchmal Erotik eine Rolle - kommt das für dich automatisch mit der Mittelalter-Thematik? Bei Bands wie zB. SUBWAY TO SALLY, werden auch des öfteren erotische Themen behandelt, mit Schuld, Unschuld usw.

IN EXTREMO: Um Schuld und Unschuld geht's bei uns eigentlich nicht. "Vollmond" ist zB. ein reines Liebeslied. Oder "Die Gier" - wie soll ich das sagen- da kommt der Text aus meinem Innersten! Das ist etwas, das ich selbst erlebt habe. So was schreibst du dann einfach nieder oder verpackst es irgendwie. Und etwas mit Schuld, Henker und diesen Dingen, hast du zwar irgendwann dabei, aber das ist nicht so mein Ding. Ich umschreibe das lieber auf irgendeine schöne Art.

Lisi: Auf dem neuen Album habt ihr ja die "Merseburger Zaubersprüche II" ...

IN EXTREMO: Wir sind froh, dass wir die noch gefunden haben. Wir wollten den zweiten schon letztes Mal machen, und jetzt hat es endlich hingehauen.

Lisi: Wird dir das manchmal zu viel - so wie jetzt Interview nach Interview geben. Gibt es Momente, in denen du dir wünschst, dass ihr etwas unbekannter wärt?

IN EXTREMO: Ach, ich weiß gar nicht, ob wir soo bekannt sind; es kennen uns zwar einige Leute, aber du bist ja auch aus dem Alter raus, wo sie dir Kuscheltiere auf die Bühne schmeißen. Wir sehen das ganz locker. Wenn du in einer solchen Maschinerie drinnen bist, und auch willst, dass die Band Erfolg hat, dann gehört das einfach dazu. Wir haben überhaupt kein Problem damit.

Lisi: Ich habe gestern diesen Brief eures Bassisten auf eurer HP gelesen..

IN EXTREMO: Ja, die Tour sollte schon ca. 2 Monate früher losgehen; alles war bereits gepackt. Einen Tag vor Tourbeginn bekamen wir einen Anruf, dass Kai im Krankenhaus liegt. Ich würde nicht darüber reden, wenn Kai das Ganze nicht öffentlich geschrieben hätte. Bei den Proben hat Kai eine Woche vor Tourbeginn Schmerzen im Bauch gehabt und gemeint, er lässt sich mal durchchecken. Man hat festgestellt, dass er richtig akuten Krebs hat - mit 35 Jahren! Man hat ihm 15 cm Darm rausgeschnitten! Er hat die Chemotherapie total gut überstanden- kein Haarausfall und so. Ihm geht es prächtig! Wir waren gestern noch alle bei ihm. Wir haben eigentlich zwei Monate auf ihn gewartet, weil die Ärzte gemeint haben, er ist ab 9.11. wieder fit. Wir haben also die ganze Tour verschoben, weil wir einfach eine Combo sind, die zusammenhält. Aber jetzt ging es nicht mehr weiter zu verschieben. Aber er wird ab 14.12. wieder bei uns mitspielen. Wir freuen uns, dass er wiederkommt. Wir mussten erst mal jemanden finden, der ihn für diese kurze Zeit ersetzt und nach drei Wochen Tour wieder geht. Wir haben vier Wochen lang mit Toddi, einem alten Freund von uns, geprobt und er spielt jetzt Alles fehlerfrei. Ich ziehe echt den Hut vor diesem Mann. Er spielt bei der Berliner Band BOON mit, die wir als Dankeschön als Support auf unsere Weihnachtstour mitnehmen. Das ist ein Geben und Nehmen!

Lisi: Ihr wart jetzt schon in so vielen Ländern auf Tour. Was war das Beeindruckendste für euch?

IN EXTREMO: Es ist verrückt. Ich war in so vielen Ländern, aber letzten Endes ist es egal, wo du bist. Ich freu' mich immer, wenn es schön warm ist. Nee, Mexico war schon der Hammer. Das hat solche Ausmaße angenommen, dass wir zu und von den Konzerten mit Polizei-Eskorte und Panzerwagen gefahren worden sind. Sonst wären wir da nicht mehr durchgekommen. Eines der schönsten Konzerte für mich war das Mind Over Matter Festival in diesem Jahr. Wir haben viele gute Konzerte gemacht, aber das war ein Konzert, das mir schon im Hinterkopf geblieben ist. Wenn wir auf Tour sind, dann setz' ich mich in den Bus rein und- muss ich gestehen- weiß dann manchmal gar nicht, in welcher Stadt wir sind. Aber seit letztem Jahr mache ich es so, dass ich mir ein Paar Skater anziehe und durch die Stadt fahre. Doch jetzt ist natürlich so eine Jahreszeit, da gehst du um 6 Uhr ins Bett, und wenn du mittags um 2 (!) Uhr wieder aufstehst, ist es schon wieder dunkel. Haha.

Lisi: Habt ihr als Band irgendein Ziel?

IN EXTREMO: Nein, haben wir nicht. Dass wir mit der Platte Top Ten waren, war natürlich der Hammer für uns. Eigentlich ist das ja eine Sparten-Gruppen-Musik und dann kommen wir unter die Top Ten! Das ist verrückt!

Lisi: Dafür, dass ihr nicht oft im Radio gespielt werdet...

IN EXTREMO: Es gibt ein paar Radio-Sachen von uns, aber Viva 2 hat uns diesmal komplett abgelehnt, aus dem folgenden wortwörtlichen Grund, den sie uns ins Gesicht gesagt haben: "Ihr seid nicht werbefähig, ihr tragt keine Cowboyhüte wie Madonna, ihr habt keine Hängehosen...". Das sagt mir sehr viel über den Charakter eines Musiksenders aus. Wir haben dann beschlossen. dieses Video, welches wir selbst bezahlt haben, mit auf die CD zu pressen und somit den Fernsehsendern "Leckt uns am Arsch" gesagt! Wir haben uns damit abgefunden und machen unseren Weg; wäre schön, wenn sie auf das Boot aufspringen, wenn nicht, sagen wir auch "L.u.a.A." Vielleicht kaufen wir uns nächstes Mal ein paar Cowboyhüte! Haha.

Lisi: Du hast gesagt, ihr seid aus Ost-Berlin. Kennt ihr RAMMSTEIN persönlich?

IN EXTREMO: Der Schlagzeuger von RAMMSTEIN probte früher mit Rainer zusammen im Keller. Es gab damals im Prenzlauer Berg so einen Keller, der hieß "Club 29". Und unser Schlagzeuger war dort zufällig Putzfrau. Das war so ein Schein-Job. Wir hatten den Schlüssel und es wechselten sich 15 Bands in diesem einen Keller ab. Da waren damals FEELING B. dabei, jene Truppe, aus der RAMMSTEIN entstanden. Flake ist heute noch ein richtig guter Freund von mir. Wir kennen uns alle, sind zusammen groß geworden und auf Kneipen-Tour gegangen. Ich freu' mich für diese Band, weil ich weiß, wie lange und hart sie gearbeitet haben. Wenn jemand sagt, dass RAMMSTEIN rechts sind, sage ich, das stimmt einfach nicht. Ich kenne diese Leute von früher, ich weiß, welche sozialen Hintergründe sie haben und so weiter. Vielleicht haben sie mal damit gespielt, keine Ahnung, aber sie sind auf jeden Fall nicht rechts. Ich freu' mich, dass eine Band aus dem Prenzlauer Berg es so weit geschafft hat!

Lisi: Welche Musik hörst du privat?

IN EXTREMO: Hm, ich höre sehr viel Verschiedenes, vom Reggae bis zum Hard Rock. Das Einzige, das ich nicht leiden kann, ist Heavy Metal mit Kastratengesang. Damit komme ich einfach nicht klar. Aber ansonsten höre ich querbeet.

Lisi: Hättest du mal Lust etwas anderes zu machen, da ihr ja schon ziemlich festgelegt seid?
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IN EXTREMO: Ich habe zwischendurch immer wieder Anderes gemacht. Das wird auch in Zukunft so sein. Ich werde mich irgendwann mit Chansons beschäftigen. Hört sich komisch an, aber ich stehe total drauf. Ein Klavierspieler, ein Gitarrist und dann Chansons machen. So spaßhalber, nebenbei.

Lisi: Danke fürs Interview und viel Spaß beim Konzert heute!



Autor: Lisi


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Beitrag vom 18.12.2001
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