JUNIUS - Reports From The Treshold Of Death
Label: Prosthetic Records
Mitunter drängt sich dem Musikliebhaber von Welt stirnrunzelnd die Erkenntnis auf, dass es eigentlich ganz schön viele Bands auf diesem Planeten gibt. Die Gefahr, dass Überfluss zu Überdruss wird, ist dabei gegeben und groß. Und es gibt kaum Hilfsmittel, sich in diesem Strudel zurechtzufinden – außer tapfer immer weiter hören und suchen. Denn dann stößt man mitunter auf Stecknadeln im Heuhaufen, von deren Existenz man nie zu träumen gewagt hätte. So ein Fall waren JUNIUS mit ihrer grandiosen 2009-Debüt-Full Length „The Martyrdom Of A Catastrophist“. Es befasste sich mit dem Oeuvre des russischen Theoretikers, Arztes und Gelehrten Immanuel Velikovsky, insbesondere dessen Werk „Worlds in Collision“ lag dem Album als Konzept zu Grunde. Was stark intellektuell riecht und es vielleicht auch ist, war bei JUNIUS jedoch alles andere als ein halbseidener Versuch, einen Mangel an eigenen Ideen hinter großen Namen und Ideologien zu verstecken, wie man es leider von vielen anderen, teilweise sogar schon namhaften Bands kennt. Nein, bei JUNIUS steht die Musik im Vordergrund. Und ihr Debüt glänzte durch Vielschichtigkeit, einen durchgehend straff gespannten roten Faden und unglaubliche Detailverliebtheit, wie es für ein Debüt eigentlich im wahrsten Sinne des Wortes unerhört ist.

Dementsprechend hoch waren die Erwartungen bezüglich des für 2011 angekündigten Nachfolgers – viel zu viel war im Vorgänger schon beantwortet und noch viel mehr gefragt worden, wo man sich mitunter gar nicht so sicher sein konnte, ob man die Antwort überhaupt wissen will. Es war eines der Zweitwerke, die man sich eigentlich gar nicht anzuhören traut, weil man nicht enttäuscht werden will und doch so froh ist, endlich eine Band gefunden zu haben, die in jederlei Hinsicht das Prädikat „eigenständig“ verdient. Aber die Neugierde siegt meistens doch. Zum Glück.

„Reports From The Treshold Of Death“ ist alles, nur nicht das, was man erwarten hätte können, und dabei so nachvollziehbar, wie es ein Album nur sein kann. Von der Band selbst wurde es als direkte Anknüpfung an den Vorgänger bezeichnet (was mir, hätte ich die Info nicht gelesen, vielleicht nicht unbedingt so klar gewesen wäre – aber das mögen andere anders sehen) und sollte einerseits das Danach des Todes Velikovskys abhandeln, sich anhand dessen aber auch mit der Thematik von Nahtoderfahrungen auseinandersetzen. So weit, so gut. „Overcome your fear – Death is not the end“ und Ähnliches teilt man uns mit. Für JUNIUS scheint der Tod nichts zu sein, vor dem man Angst haben muss. Und er scheint vor allem viel einfacher und unkomplizierter zu klingen, als das theoretische Leben davor – das ist der erste Eindruck, der hängen bleibt, wenn man „Reports From The Treshold Of Death“ zum ersten Mal hört. Klare Höhepunkte gibt es nicht, und wenn doch, dann sind sie so schnell vorbei, wie sie gekommen sind – ohne Climax, ohne Dramatik, ohne richtigen Spannungsaufbau, also eigentlich technisch gesehen kein Höhepunkt, aber in Echt dann doch irgendwie einer, oder viele kleine. Das Werk ist eine einzige omnipräsente Fläche. Wenn die Erde schon keine Scheibe ist, dann vielleicht ja das, was danach kommt.

Und trotzdem ist für jeden, der die Band kennt, sofort klar, dass man es hier mit JUNIUS und niemandem sonst zu tun hat – was hauptsächlich an der charismatischen Tenorstimme liegen mag (ich bin anmaßend und vergleiche ihn mit Jonas Renkse – sein Stimmumfang geht kaum über eine Oktave hinaus, aber innerhalb dieses Ambitus vermag er alles mit kompromissloser Hingabe auszudrücken, was irgendwie gesagt gehört). Zerpflückt man die Musik etwas mehr ins Theoretische, kommt man aber drauf, dass kompositorische Parallelen zum Vorgänger durchaus vorhanden sind. Auch die Instrumentierung bzw. die Aufgabenverteilung der Instrumente ist ähnlich: Gitarren und Bass bilden Fundament und Fläche und sind so zentraler Bestandteil des Gerüsts, ohne dabei aber in solistischer Egowichserei aufzugehen – gelegentliche gezupfte Spielereien und arpeggierte Akkorde anstelle der simultanen Anschläge mal außen vor. Unterstützt werden die Saiteninstrumente dabei vom mal mehr, mal weniger dezent verwendeten Synth. Für Abwechslung zuständig ist meistens das Schlagzeug, dem wohl am meisten Freiraum gelassen wird, das sich aber trotzdem nie gegen das melodische Geschehen stellt, sondern eher verspielt um die Hauptlinie herumtänzelt. Über dem ganzen Gerüst schwebt schließlich die engelsgleiche Stimme Joseph E. Martinez, die dem Hörer das Ganze mit unheimlicher Intensität direkt unter die Haut bringt, indem sie das harmonische Geschehen entweder verdeutlicht oder ihm als Verkörperung zusätzlicher Intervalle die eigentliche Bedeutung manchmal sogar erst verleiht. Aber auch für ihn gilt: In erster Linie ist er ein Instrument. Kein Solist.

Natürlich kann man JUNIUS und ihrem jüngsten Output einiges vorwerfen, wenn man möchte. Streng genommen ist das Album ziemlich primitiv, und der technische Anspruch ist über weite Strecken nicht besonders hoch, zumindest nicht im konventionellen Sinn. Die Band selbst bezeichnet ihren Stil als „Art Rock“, was immer das für sie auch bedeuten mag. Auf jeden Fall aber haben JUNIUS gezeigt, dass sie wahre Meister der Atmosphäre sind, und dass weniger oft so viel mehr sein kann – gerade weil auf so viel verzichtet wurde, das beim Vorgänger noch essentiell war, wie dynamische Vielfalt von ganz laut nach ganz leise, häufigere Soli oder die Verwendung von Sprachaufzeichnungen des mighty Velikovsky. Aber darum geht es auf dem neuen Album eben einfach nicht. Alle beteiligten Instrumente verschmelzen zu einem homogenen Ganzen, das sich nicht an das analytische Gehirn, sondern an den Menschen darunter wendet und damit jeden einzelnen von uns betrifft. Man hätte es nicht für möglich gehalten, aber JUNIUS haben sich weiterentwickelt, nach vorne, nach hinten, nach links und rechts, oben und unten. Der irdische Progressive-Firlefanz ist weggeblasen und fehlt seltsamerweise kein bisschen. Eine in jeder Hinsicht einzigartige Platte, der sich niemand verwehren sollte, schon gar nicht solche, die auf CLOUDKICKER, RUSSIAN CIRCLES oder die PET SHOP BOYS stehen. Man höre sich beispielsweise „The Meeting Of Pasts“ oder „Betray The Grave“ (dessen Name schon ein programmatischer Augenschmaus ist) an – wer dann immer noch an die Diskusform unseres Planeten glaubt, der möge sodann von deren Rand springen.

www.juniusmusic.com


6.5 von 7 Punkten

Tracklist:
1. Betray The Grave
2. All Shall Float
3. Dance On Blood
4. A Universe Without Stars
5. Haunts For Love
6. The Meeting Of Pasts
7. (spirit Guidance)
8. A Reflection On Fire
9. Transcend The Ghost
10. Eidolon & Perispirit
Gesamtspielzeit: 42:07

strudl
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Beitrag vom 07.01.2012
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