ALTAR OF PLAGUES - Mammal
Label: Candlelight Records
Metal ist objektiv gesehen kein Elfenbeinturm, sondern eine Unterhaltungsform. Trends kommen und gehen, und dies geschieht in dieser Szene ebenso schnell und immer schneller wie in jeder anderen mehr oder weniger kommerziellen Musikrichtung auch. Darüber kann man gerne nostalgisch werden, gerade Black Metal bietet einen idealen Nährboden für eine Früher-War-Alles-Besser-Mentalität; nichtsdestotrotz existiert aber auch diese Richtung schon lange genug, als dass sich nicht langsam Sub-Sub-Genres herausbilden würden, die sich plötzlich zu verselbstständigen scheinen und die Hörerschaft dadurch immens polarisieren lassen – wie beispielsweise im Falle des Post-Black Metals.

Manch einer mag mit gemischten Gefühlen den rasanten Aufstieg und kommerziellen Durchbruch von Bands wie ALCEST, WOLVES IN THE THRONEROOM oder FEN beobachtet haben; auch der Underground reagierte teilweise höchst emotional (in mehrerlei Hinsicht) auf die plötzliche Kombination von Blastbeats, feenhaftem Cleangesang und erstaunlich klar definierten Akkordteppichen. Die Etablierung einer regelrechten Post-Black-Szene innerhalb weniger Jahre gab dem Ganzen auch durchaus einen Touch von Mainstream, der vor allem vielen alteingesessenen Black Metal- Veteranen der ersten Stunde äußerst sauer aufstoßen musste.

Wie dem auch sei, das Genre verfügt mittlerweile über überraschend klar definierte Bestandteile – was Musikpessimisten, auch jenen, die an sich viel mit diesem Sound anfangen können, durchaus zu dem berechtigten Verdacht kommen lassen dürfte, dass gewisse Labels, Produzenten und Künstler hier schon leckeres Geld riechen. In der Tat sieht man sich bereits mit einer ganzen Horde Nachwuchsacts dieser Couleur konfrontiert, deren inhaltlicher Anspruch meiner Meinung nach sehr oft in Frage gestellt werden muss. Aber wie heißt es so schön: Wenn du glaubst, es geht nicht mehr – kommt irgendwo ein Lichtlein her. Ob es sich hier nun um ein Lichtlein handelt oder eher um das Gegenteil, darüber lässt sich streiten. Fest steht, dass mir der jüngste Output von den irischen ALTAR OF PLAGUES mit dem Titel „Mammal“ zum ersten Mal seit der Entdeckung der ersten Scheiben des Genres wieder das Gefühl gab, etwas bisher noch nie Dagewesenes zu erleben.

Das lag jedoch keineswegs an zunehmender Experimentierfreudigkeit – eigentlich ist genau das Gegenteil der Fall. War der Vorgänger „White Tomb“ aus dem Jahre 2009 noch von klar differenzierter Produktion und folglich auch klar auszumachenden Harmoniefolgen geprägt, so schickt man uns hier back to the roots. Ein rauer, typisch schwarzmetallischer Sound nimmt die Atmosphäre völlig in Anspruch, und gleich beim Opener „Neptune Is Dead“ wird klargemacht, dass wir es hier nicht mit frankophilen F-Dur-Elfen und zarten Chimes-Brisen zu tun haben. Stolze 18 Minuten lang sperrt man uns mit nur wenigen kurzzeitigen Ausnahmen in eine einzige Harmonie – nicht E, nicht A, sondern kein geringeres als das musikalisch doch sehr vorbelastete C-Moll lässt keinen Raum für romantische Kompromisse. Man fühlt sich wie in einer Tropfsteinhöhle: Die Umgebung ist trist und unfreundlich, aber auf eine groteske Art fühlt man sich heimelig. So geht es auch im nächsten Track weiter, dem atmosphärisch ähnlichen, aber etwas flotteren und aggressiveren „Feather And Bone“. Vor allem Schlagzeug und und Vocals wissen sich in ihren einsamen Hass hineinzusteigern. Um harmonische Abwechslung geht es auch hier nicht wirklich, aber wenn, dann ist sie genau platziert und lässt sogar Raum für ein wenig minimalistischen Klargesang, der jedoch weit davon entfernt ist, positive Gefühle zu wecken, sondern Tristesse und Verzweiflung vielmehr ein zusätzliches Sprachrohr verschafft. Ganz anderer Natur ist der völlig unerwartete weibliche Klargesang im darauffolgenden „When The Sun Drowns In The Ocean“. Es handelt sich dabei um sogenanntes keening, eine Form des traditionellen irischen/gälischen Trauergesangs, improvisiert gesungen von einer alten Frau direkt über dem toten Körper. Was dann folgt, ist ein Gitarrenzwischenspiel, das sich melodisch nicht wirklich lokalisieren lässt, selbst wenn Teile immer wieder kommen und es wohl den musikalisch deutlichsten Teil des ganzen Albums ausmacht.

Schließlich hören wir nochmals den genannten Klagegesang von einer noch befremdlicheren Stimme, was durch elektronische Verzerrung noch verstärkt wird. Dies markiert die Überleitung in den letzten Song, „All Life Converges To Some Centre“. Er beginnt fast doomig mit seinen schweren Akkorden auf die Einsen, die sich wie eine Faust in den eh schon sensibilisierten Magen bohren, bis plötzlich doch wieder der Blastbeat loslegt. Das Schlagzeug scheint in diesem Stück erneut der Hauptaktivist zu sein, obwohl auch der Bass solistisch zu Wort kommt und die Gitarren mehr oder weniger dasselbe tun wie bisher – eigentlich fast nur schnörkellose Akkordzerlegungen spielen, dies aber mit nüchterner Vehemenz und zwar stets jene Harmonien, die man am meisten fürchtet und am sehnsüchtigsten erwartet. Genau so endet das Album auch. Es ist weder ein dramatischer Showdown mit formelhafter Klimax, wie sie in einigen Sub-Musikgenres mit dem Präfix „Post“ nur allzu oft zu finden ist, noch ist es ein beruhigendes schlafliedartiges Fade-Out. Das Album ist einfach nur zu seinem unsentimentalen Ende gekommen, so wie alles zu Ende geht, und man weiß nicht, ob man darüber erleichtert sein, traurig und wehmütig werden oder überhaupt irgendwie reagieren soll. Es ist nicht alles gesagt, was gesagt werden will und muss, bei weitem nicht. Genau genommen scheint mir das Album mehr eine Art Bestandsaufnahme zu sein, ein einziger völlig zeitloser Moment, in dem nichts passiert ist, das man in Worte fassen könnte, und der trotzdem so essentiell für den Prozess ist, wie es ein Moment nur sein kann. Genau darin liegt auch die Stärke des Albums und das, was es so wesentlich von rein musikalisch vergleichbaren Werken unterscheidet: Es macht weder sich noch dem Hörer etwas vor, es erzählt keine trivialen, längst bekannten und ausgelutschten Gutenachtmärchen, und es erhebt keinen Anspruch auf überirdische Katharsis.

Die nüchterne und ehrliche Direktheit des Werks, die sich wie ein roter Faden durch Komposition, Interpretation und Produktion zieht, wird bestimmt nicht jedermanns Sache sein. Vielmehr bietet sie eine Möglichkeit, die keinen Wert darauf legt, in Anspruch genommen zu werden, sondern die zum Selbstzweck existiert. Wer sich in dieser Höhle verkriechen will, kann es tun, sollte sich aber kein sentimentales Verstandenwerden davon erwarten. Diese Musik ist nicht dafür zuständig, dass alles gut wird – diesen trivialen Idealismus können wir den Post-Feen überlassen, nicht der nüchternen Realität.

www.altarofplagues.com


6.5 von 7 Punkten

Tracklist:
1. Neptun Is Dead
2. Feather And Bone
3. When The Sun Drowns In The Ocean
4. All Life Converges To Some Center
Gesamtspielzeit: 51:58

strudl
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Beitrag vom 05.10.2011
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