KMFDM - WW III
Label: Smd Mayan (Sony)
Ein Album, zu dem man wahrscheinlich einen Wälzer an Sekundärliteratur schreiben könnte. Hier wird nämlich extrem schlau und überlegt Musik gemacht. Bevor wir uns aber tiefer in den dritten Weltkrieg stürzen, ein paar Worte zum Diskursfeld, in dem dieses Album anzusiedeln ist.

“WWIII” ist wieder einmal ein politisch inspiriertes/motiviertes Konzeptalbum, von dem wir ja dieses Jahr schon einige hatten. Ich erinnere da nur an KING CRIMSONs “The Power To Believe”, DEREK SHERINIANs “Black Utopia” und nicht zuletzt RADIOHEADs “Hail To The Thief”.
Das zuletzt erschienene FLATTBUSH-Debüt ist ein weiterer Beleg für die Aktualität des US-Imperialismus-Diskurs in der Musikwelt.

Wie schon diese vier Alben verschiedenste Zugänge zu dem Thema hatten, so erweist sich auch “WWIII” als sehr eigenständig was die Herangehensweise angeht. Von der Musik brauchen wir ja gar nicht reden: kommen schon die vier anderen Bands aus völlig verschiedenen Richtungen, operieren KMFDM im Industrialbereich. Aber dazu später.

Während DEREK SHERINIAN eine sehr amerikanisch geprägte Sicht der Dinge an den Tag legte, KING CRIMSON ein düsteres Bild der Zukunft der Welt als gesamte entwarfen, RADIOHEAD dies in gewissem Sinne auch taten, allerdings in fast märchenhaften Gleichnissen, die allerdings trotzdem den Bezug zur Aktualität der US-amerikanischen Aussenpolitik erkennen ließen und FLATTBUSH radikal gegen die USA wetterten (allerdings bezogen auf bereits vergangenes, nämlich die Unterstützung des Marcos-Regimes durch die USA), entwerfen KMFDM nun ein Bild vom dritten Weltkrieg, der aus der Eskalation der diversen amerikanischen Interventionen im nahen Osten und dem damit heraufbeschworenen “Kampf der Kulturen” entstehen könnte.

Interessant ist hierbei die Wechselbeziehung, die Musik und das Themenfeld beziehungsweise dessen Verarbeitung bei all diesen Beispielen eingehen: der Radikalismus FLATTBUSHs etwa harmoniert perfekt mit ihrem Grindcore (alle anderen Beispiele überlasse ich jetzt eurer Interpretation). Für KMFDM bedeutet das dann konsequenterweise den High-Tech-Krieg.
SKINNY PUPPY-mässige Elektronikeinsprengsel, MINISTRY-mässiges Gitarrenriffing, gelegentliche Hysterie á la ATARI TEENAGE RIOT und SISTERS OF MERCY-angelehnter weiblicher Gesang als Refrain vereinigen das Beste des Industrial-/Dark Wave-/EBM-Umfeldes mit musikalischen Anspielungen wie der Verwendung von Samples aus Reden von Politikern der Vergangenheit oder einer Slidegitarre und einer Bluesharp, deren Symbolwerte schlecht übertroffen werden können.
Hier wird also nicht nur gekonnt musiziert sondern auch dabei gedacht.
Genauso wie bei SHERINIAN, KING CRIMSON, RADIOHEAD und FLATTBUSH das Adjektiv “progressiv” aus verschiedenen Gründen auf die Musik angewandt wird, erscheint mir dies auch in Bezug auf KMFDM angebracht.

“Progressiv” oder - wenn euch dieser mindestens genauso hochgestochene Begriff lieber ist - "Sophisticated" ist das textliche Konzept dieses Albums sowieso: die Steigerung hin zum dritten Weltkrieg wird nachvollzogen, das allerdings in umgekehrter Reihenfolge: Titel des letzten Songs ist “Intro”, Titel des ersten “WWIII”.
So macht das Album textlich also nur Sinn, wenn man die Titel in umgekehrter Reihenfolge anordnet: nach dem Intro steht die “Revenge”, die von einem “Moron” ausgeführt wird und zwar mit “Bullets, Bombs & Bigotry” um die “Stars & Stripes” zu verteidigen. Irgendwann kommt dann als Gegenreaktion der “Jihad”, welcher die Spirale der Gewalt wiederum bis zum “WWIII” schraubt. So könnte man die Prophezeiung zusammenfassen, die KMFDM für uns bereit halten.

Egal, welche Sichtweise die dieses Jahr erschienenen Konzeptalbum aus dem Diskursfeld der durch die USA-Aussenpolitik maßgeblich beeinflußten Zukunft haben oder für welche musikalische Umsetzung sie stehen, erstaunlich ist deren durchwegs hohe musikalische Qualität und so kann auch “WWIII” auf ganzer Linie überzeugen.




www.kmfdm.net


6 von 7 Punkten

Tracklist:
1. WW III
2. From Here On Out
3. Blackball
4. Jihad
5. Last Things
6. Pity The Pious
7. Stars & Stripes
8. Bullets, Bombs & Bigotry
9. Moron
10. Revenge
11. Intro
Gesamtspielzeit: 51:44

Kronos
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Beitrag vom 08.10.2003
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