KELLERMENSCH  
07.11.2011 @ Chelsea

Ob es in Zeiten wie diesen eine gute Idee ist, dass eine Band, deren Gesamtdiskographie nicht mehr und nicht weniger als eine EP und ein Full-Length-Album umfasst, schon eine autonome Tour bestreitet, noch dazu in Staaten, wo Tonträgermaterial ohnehin erst seit wenigen Monaten erhältlich ist, daran kann man gewiss zweifeln – Major-Label hin oder her. Es ist in Zeiten wie diesen auf jeden Fall eine sehr gewagte Idee. Man weiß nicht, ob sie vom Management oder der Band selbst kommt, aber KELLERMENSCH ziehen die Sache trotzdem tapfer durch und beehren auch das Wiener Chelsea, wohin der eigentlich in der Szene geplante Gig kurzfristig verlegt wurde.

Was sich als weise Entscheidung herausstellt, denn die bescheidene Anzahl an Zuschauern hätte in der Szene wohl noch armseliger gewirkt. So ist der kleine Veranstaltungsraum locker-luftig gefüllt, als die Band um 22 Uhr die Bühne betritt. Das adrett gekleidete Septett macht einen durchwegs reservierten Eindruck – ob dies am Ausmaß des Publikums, der Tour an sich oder sonstigem Weltschmerz liegt, lässt sich nicht eruieren, aber auf jeden Fall steht die distanzierte Blasiertheit dem Sound recht gut zu Gesicht, auch wenn die doch eher kleine Bühne etwas eng für die sieben Dänen inklusive Kontrabass und Orgel (!) ist. Nur Sänger Sebastian Wolff hat von Anfang an keine Schwierigkeiten, sich in seine Musik einzuleben; sein mehr oder weniger erfolgreiches Klettern auf die Brüstung und Fuchteln mit dem Mikroständer oder anderen Instrumenten mag ein wenig übertrieben wirken, aber hinterlässt zumindest Eindruck, und nachdem sich die Zuschauer der vorderen Reihen an ihn und den erforderlichen Sicherheitsabstand gewöhnt haben, geht der Spaß so richtig los, sofern man denn von Spaß sprechen kann. Der Retro-Art-Rock mit starken Metal-Einflüssen funktioniert ausgesprochen gut, was nicht zuletzt daran liegt, dass die Musikanten ihren jeweiligen Part nicht nur gut beherrschen, sondern auch erstaunlich gut zusammenspielen können, auch wenn manche von ihnen den künstlerischen Individualismus recht wichtig zu nehmen scheinen, etwa Bassist Claudio Suez, der storchbeinig und mit Bass in Brusthöhe quer über die ganze Bühne und allen darauf liegenden Kabeln und Mitmusikern herum stakst, woraufhin der Geiger in seinen Spielpausen eifrig am Fußpedal herumschalten muss – was sich aber zu lohnen scheint, denn der Sound ist relativ ausgeglichen und auch von angenehmer Lautstärke.





Einzig die Orgel, die der growlende Co-Sänger Christian Sindermann nebenbei bedient, hätte besser zur Geltung kommen können, wenn man das Ding schon extra dort hinauf geschafft hat. Aber das Hauptaugen- und auch -ohrenmerk zieht ohnehin Wolff auf sich. Er kann es sich leisten – seine stimmliche Darbietung ist bemerkenswert, und Sindermann funktioniert als perfekte Ergänzung, überraschenderweise auch im Klargesang, was hier auf einer Livebühne noch besser zur Geltung kommt als auf Platte. Besonders „30 Silver Coins“, das dem Publikum in einer abgespeckten Version aus zwei Stimmen und ein paar Gitarrenakkorden präsentiert wird, ist ein echtes Juwel des Abends. Aber auch alle anderen Songs kauft man der Truppe auf Anhieb ab; wobei im Positiven hinzugefügt werden muss, dass auch das Publikum einen großen Teil zum Gelingen der Show beiträgt, indem es schon bei manchen Songtitelansagen in beispiellosen Jubel ausbricht und der Gruppe ihre volle Aufmerksamkeit schenkt, sofern es denn nicht gerade mit Abtanzen beschäftigt ist – was beweist, dass 20 Hörer, die aktiv am Geschehen interessiert sind, immer noch viel mehr wert sind als ausgebuchte Konzerthallen, die alles, was nicht Headliner oder sonst ausreichend cool ist, bestenfalls als geschenkten Vorspann erdulden. Sänger Wolff bedankt sich ausführlich, der Rest zeigt seine Freude über das Feedback eher in stummer Selbstbeherrschung und widmet sich kommentarlos seinem Job – den er ja eh beherrscht, auch wenn man sich mit Coverversionen von TOM WAITS oder NEIL YOUNG die Latte gefährlich hoch gelegt hat. Die Eigenkompositionen können sich aber auch hören lassen, und neben Krachern wie „Black Dress“, „The Day You Walked“, der Single „Army Ants“ oder dem online verschenkten und deshalb vielleicht bekanntesten Song „Moribund Town“ spielt man auch einen neuen Song, „The Pain Of Salvation“, der große Lust auf etwaige Zukunftsmusik macht.





Nach einer guten kurzweiligen Stunde Spielzeit schließlich spazieren die sieben Musikanten wieder von der Bühne – ohne Zugabe, aber (zumindest scheint man den Eindruck erwecken zu wollen) stilecht in intellektuellen Gedanken versuchen. Das Volk ist zufrieden, die Band hoffentlich auch. Es bleibt zu hoffen, dass der bereits begonnene Durchbruch KELLERMENSCHs seine Vollendung und logische Fortsetzung findet, denn hier hat man ohne Zweifel eine Band mit Potential vor sich, die jetzt schon ein ausgesprochen hohes Maß an Eigenständigkeit aufweist. Mit dem Drumherum kann man sich anfreunden oder nicht, aber den Namen KELLERMENSCH in Verbindung mit einem höchst interessanten und dennoch schlüssigen Konglomerat aus unterschiedlichstem Alten und einigem Neuen sollte man sich auf jeden Fall merken.
kellermensch.com

strudl
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Beitrag vom 20.11.2011
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