SENTENCED - THE FUNERAL  
30.09.2005 @ Club Teatria, Oulu, Finnland

Die Violine hallt durch den Raum. Klänge eines finnischen Komponisten. Getragen, traurig, das letzte Geleit. Der Scheinwerfer strahlt in warmem Blau einen ausgedürrten Baum an. Vier Männer tragen einen Sarg auf die Bühne: Vesa Ranta, Sami Lopakka, Sami Kukkohovi und Miika Tenkula. Samstag, 22.30 Uhr, Oulu, Finnland, Club Teatria. SENTENCED trägt sich selbst zu Grabe. Knapp 16 Jahre nach Geburt einer außergewöhnlichen Band. Ein guter Tag zum Sterben.
Die Stimmung ist gemischt im Publikum. Die Emotionen pendeln zwischen Euphorie und Melancholie. Jeder weiß, bald ist es vorbei. In über zwei Stunden wird es diese Gruppe nicht mehr geben. Eine Zeit voller Enthusiasmus, die in einer tiefen, fassungslosen Trauer enden wird. Wer wollte, konnte sich noch in das Kondolenzbuch eintragen, den fünf Finnen die letzten Worte auf ihrem Weg ins Nichts geben. Ausgelegt auf einem Tisch, umringt von zwei Särgen, Trauerfotos der sich selbst zu Grabe tragenden Akteure.
Sie holen die melancholische Meute erstmal lautstark in ihre so wunderbare Welt der Musik zurück. „Where Waters Fall Frozen“, das düstere Instrumental erklingt. Ein Aufschrei geht durch die Halle, Sänger Ville Laihiala betritt die Bühne. Lässig mit Hut bedeckt stimmt er darauf ein, worauf es hinaus laufen wird: „May Today Become The Day“. Heute wird der Tag, der letzte Tag. Ein langer Tag, der nie zu Ende gehen sollte. Mit seiner gewohnt eindrucksvollen Art führt der charismatische Sänger durch die Zeremonie. Seine Worte in Finnisch lassen ihn noch sympathischer erscheinen. Mit seinen vier Mannen gibt er noch einmal alles. Zeigt, wie sich „The Funeral Album“ live anhört. Auf eine Abschluss-Tournee verzichtete SENTENCED. Stattdessen hat die Band auf einigen Festivals Abschied von den Fans auf der ganzen Welt genommen. Doch hier in ihrer Heimatstadt wollten sie endgültig begraben sein und ihr eigenes Ständchen spielen. Zum Glück wurde für eine DVD mitgeschnitten.
Ville hatte sich hörbar vom Vorgängeralbum „The Cold White Light“ nochmals gesteigert. Er variierte mehrere Ticks, holte aus seiner Stimme alles raus. Letztendlich ist er es, der dem musikalisch triefenden Grundgerüst die eingängige Melodie aufsetzt. Laihiala sucht im Metalbereich seinesgleichen. Vergebens. Sein rauchiges Organ bleibt einzigartig. „The Funeral Album“ entfaltet live erst seine Qualitäten. Es ist diese Perfektion, mit der die Band die vergangenen Jahre über arbeitete und sich Lorbeeren verdiente. Dieses immer weiter gesteigerte, durchdachte Schaffen übertrug sich stets auch auf ihre Konzerte. Kein Wunder, dass die Songs von der letzten Scheibe wie „Everfrost“ auch zu den Höhepunkten des Begräbnisses wurden. Was aber die Lieder der Vorgängeralben nicht schmälern soll. Bei „No One There“ rieselte der Schnee von der Decke. Eine eindrucksvolle Stimmung bei diesem so melancholischen Werk. Gleiches gilt für „Everything Is Nothing To Me“.
Es war ein gelungener Querschnitt, den SENTENCED an diesem letzten Konzert boten. Egal ob „Bleed“ und „Noose“ von der Scheibe „Down“, „Drown Together“ von „Frozen“ oder die Kracher „Broken“ von „Crimson“, „Excuse Me While I Kill Myself“ und "Brief Is The Light" von „The Cold White Light“, jeder Song charakterisierte die Entwicklung dieser Band. Wobei sie aber auch die alten Tage, als Ville Laihiala noch nicht am Mikro stand, nicht beiseite fegte - als die Finnen einen Schnitt begingen: weg vom harten Stoff, hin zum eingängig melodiösen. Als Überraschung stand nach einer kurzen Pause Taneli Jarva auf der Bühne, Sänger der ersten Scheiben. Schon am Tag zuvor, bei einer abgespeckten Version der Beerdigung im Club Teatria, gab er ein Stelldichein. Endlich hörte sich „Nepenthe“ vom Album „Amok“ live wieder originalgetreu an. Nach drei weiteren Liedern von den Scheiben „North From Here“, „Shadows From The Past“ und „Amok“ war es aber wieder vorbei mit der Rückkehr Tanelis. Gut so. Denn ein Großteil der Trauergäste konnte mit den alten Liedern nicht viel anfangen. Doch war auch gewiss, dass die Beerdigung nicht mehr lange gehen würde. Dennoch drehte Ville nochmals voll auf, im Gegensatz zum gelangweilt wirkenden Gitarristen Sami Lopakka. Der Sänger wurde aber ab einem gewissen Zeitpunkt immer ruhiger. Sagte „Despair-Ridden Hearts“ an, der Kinderchor stimmte auf den Übertritt in eine andere Welt ein. Und sang weiter, nachdem Laihiala sehr dünn „End Of The Road“ angesagt hatte. Keiner klatschte, keiner wollte die Band mit Beifall verabschieden. Es war soweit. Eine grandiose Band sagte „Auf Wiedersehen“. Für immer. Eine Rückkehr wird es nicht geben. Das schloss SENTENCED aus, will sich nicht wie viele andere Reunion-Bands zum Gespött machen. Musiker mit dieser Integrität bleiben bei ihren Prinzipien. Die Tränen konnte sich Laihiala nicht ganz verdrücken, wie so einige Fans auch nicht. „Still, it doesn’t only hurt to end it now – Is live over, is live over? Or has it only just begun? It grows colder, starts to moulder... Coming apart yet still not done – Forever one”. Die letzten Worte, der Sänger warf schweren Herzens noch Mal einen Gruß in die Menge. Das finale Solo. Es verhallt. Zurück bleiben fassungslose Fans. Trauernde Anhänger um eine der außergewöhnlichsten Bands des Metals, die trotz ihrer Düsterheit ein Stück Hoffnung gab. SENTENCED ist tot. Es war ein guter Tag zum Sterben.

Timo Toschka, Markus Brotz



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www.sentenced.org

Philipp
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Beitrag vom 11.10.2005
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