NIGHTWISH   SONATA ARCTICA   TIMO RAUTIAINEN & TRIO NISKALAUKAUS  
25.10.2004 @ Gasometer

„Finnischer Metal ['finnischer 'Mεtl], der: Produkt eines hoffnungslos langen und dunklen Winters in einer trostlos kalten Gegend mit erhöhten Selbstmordraten, irgendwo im Norden Europas; entsteht meistens unter Einsamkeitsgefühlen und übermäßigem Alkoholkonsum eines oder mehrerer seltsamer Wesen, die sich „Finnen“ nennen.“
So manch einer mag in der Flut der depressiv angehauchten finnischen Bands solch einen Eindruck von dieser eigenartigen Spezies haben. Als bekennende Halbfinnin kann ich aber jeden, der sich um uns Sorgen macht, beruhigen: Nein, wir schneiden uns nicht jeden Tag die Pulsadern auf, denken nicht (immer) daran, uns in den vielen Seen zu ertränken, und auch der Alkohol fließt bei uns in Grenzen...
Na gut, ich gebe zu, das Letztere war vielleicht ein bisschen gelogen. Nichts desto trotz ist Finnland eines der Länder, das sich zu den führenden Metal-Spitzen zählen kann. Und genau dies stellten TIMO RAUTIAINEN JA TRIO NISKALAUKAUS, SONATA ARCTICA und NIGHTWISH unter Beweis.

Den schlechtesten Start erwischten wohl TIMO RAUTIAINEN JA TRIO NISKALAUKAUS, die als Opener des Abends fungierten. Sie wirkten bei ihrem Auftritt um einiges verklemmter als in ihrem Heimatland, das auch Hauptzielgebiet ihrer Musik ist. Aber das war auch kein Wunder, denn Publikum war verhältnismäßig spärlich vorhanden (*vielleicht lag es daran, dass auf den Eintrittskarten „Einlass 19.00“ stand und sich jeder „normale“ Konzertbesucher gedacht hat, dass es danach noch mindestens eine Stunde dauert, bis die erste Band die Bühne betritt – dem war aber nicht so, begonnen wurde um 19.40*) und die Zuhörer wollten sich nicht so richtig mit dem Dargebotenen anfreunden. Schuld daran war wohl der etwas dürftige Bekanntheitsgrad der Band in Mitteleuropa, aber vielleicht auch die zum Teil sehr unverständlichen Texte, und zwar unverständlich sowohl akustisch, als auch von der Bedeutung der manchmal willkürlich aneinandergereiht scheinenden Worte. So wird zum Beispiel aus dem in Finnland zuerst veröffentlichten Lied „Juoksevan veden aika“, was so viel heißt wie „Die Zeit des fließenden Wassers“ „Die Zeit der steigenden Säfte“. Solche und ähnliche Übersetzungsfehler ließen die ansonsten glaubhaft wirkenden Moralprediger, die (zumindest in Finnland) über Familientragödien, Liebe, Tod und Krieg erzählen ein wenig lächerlich erscheinen, auch wenn sie spieltechnisch durchaus ziemlich fit wirkten. Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn Timo doch bei seiner Muttersprache geblieben wäre, denn er fühlte sich auch sichtlich nicht wohl dabei, die Texte in einer Sprache, die er nicht versteht, vorzutragen.
Als letztes Lied präsentierte das Quintett „Schneewanderer“ vom neuen „Hartes Land“-Album, bei dem sie Tuomas (von NIGHTWISH) tatkräftig am Keyboard unterstützte, was das Publikum natürlich besonders erfreute.

Bei SONATA ARCTICA waren schon um einiges mehr Leute in der großen Gasometer-Halle. Über den Auftritt dieser Band kann ich eigentlich kaum negative Worte verlieren. Frontmann Tony Kakko verstand es, das Publikum zum Bangen und Mitsingen zu animieren, und auch sonst war die ganze Band bei der Sache und hatte sichtlich Spaß am Spielen. Für mich ist es immer wieder faszinierend, wie diverse Power und Speed Metal-Sänger ihre Stimme derart in allen Höhen und Tiefen strapazieren können, ohne dass sie spätestens nach einer Viertelstunde heiser sind. Wie auch immer, Tony war wie gewohnt stimmlich on top. Geboten wurde eine gute Kombination aus neuen und alten Liedern. Das neue Material vom kürzlich veröffentlichten Album „Reckoning Night“ erschien durchaus auch bühnentauglich, besonders „Don’t Say A Word“ fiel sehr positiv auf.
Zum Schluss gab’s noch einen kleinen Auszug aus SONATA ARCTICAS Lebensphilosophie mit dem Lied, das nur aus einer Textzeile bestand, nämlich „Wodka, We Need Some Wodka“. Und wer glaubt, dass die Band diese paar Worte nur so dahingesungen hat, hat sich getäuscht. Nach dem Gig wurde klischeehaft auf den Putz gehauen und Keyboarder Henkka stellte uns seine eigene Art dieses hochprozentige Teufelszeug zu trinken vor: Man nehme in die rechte Hand ein Glas puren Wodka und in die linke eine Flasche Mineralwasser. Nun nehme man einen kräftigen Schluck von der rechten Seite und gleich darauf einen von der anderen. Durch diese Kombination schmeckt der Alkohol nicht so stark und man kann viel mehr davon trinken, um die lange Fahrt im Tourbus bis in die nächste Konzertstadt zu überstehen... (Nachahmung nicht weiterempfohlen!)

Und dann, als krönender Abschluss des Abends traten natürlich NIGHTWISH auf. Ich kann nicht anders, als in vollen Zügen über diese Band schwärmen. Immer, wenn ich sie sehe, bin ich dermaßen überwältigt, dass ich alles andere um mich herum vergesse. In dieser Formation steckt dermaßen viel Potenzial und sorgsam präsentierte Originalität, dass mir fast schon diejenigen leid tun, die diese Anhäufung an genialer Kreativität nicht erkennen. Die Bandmitglieder erscheinen wie eine zusammengeschweißte Familie, wobei wohl Bassist und Sänger Marco Hietala den Familienvater darstellen würde, weil es den Anschein hat, als würde er ein wenig Ordnung in die ganze Partie bringen und so übernahm er auch zu einem großen Teil die teilweise ziemlich erheiternden Liedansagen. So lautete zum Beispiel jene vor „Wish I Had An Angel“ wie folgt, oder so ähnlich: „Sometimes on tour, I really wish I had some underwear. But tonight, for you, I wish I had an angel!”.
Tuomas wiederum machte den Eindruck eines kleinen, sensiblen Jungen, eines ewigen Träumers (was jetzt nicht negativ klingen soll), der mit der Realität nicht viel anfangen kann, sondern die Grenzen zwischen Wirklichkeit und Traum viel lieber durch seine eigene musikalische Welt verschwimmen lässt, in der er voll aufblühen und deren Geschehnisse er selbst steuern kann. Mit seinen Bandkumpanen hat er die ideale Möglichkeit zur Verwirklichung seines erschaffenen seelischen Fluchtortes gefunden. Tarjas Stimme, die live ebenso Respekt einflößend ist wie auf CD, schmiegt sich perfekt an die Musik, auch wenn sie diesmal vielleicht etwas neben der von Marco unterging (am meisten merkte man es bei „Phantom Of The Opera“), was wahrscheinlich aber auch an dem zum Teil ziemlich schräg klingenden Sound lag. Gitarrist Emppu ist ein fröhliches Energiebündel, der sein Handwerk drauf hat und beim Konzert ohne Worte mit dem Publikum kommunizierte. Und auch an Jukka war spieltechnisch und was die Motivation angeht nichts auszusetzen.
Ein kleiner Fehltritt waren meiner Meinung nach die sogenannten Spezialeffekte. Ich finde, eine Band wie NIGHTWISH hat keine Pyrotechnik nötig und auch das vom oberen Bühnenrand herabfallende Wasser bei „Nemo“ („...Oh, how I wish for soothing rain...“) war etwas unnötig.
Außerdem habe ich ein wenig mehr Variation in der Songauswahl vermisst. Ich meine, es ist klar, dass sich die meisten Leute darüber freuen, wenn diverse Singleauskopplungen dargeboten werden, aber ich glaube, dass viele auch Gefallen daran finden würden, seltener gespielte Songs zu hören, unter anderem einige der ersten Platte „Angels Fall First“. In diesem Sinne wiederum war zum Beispiel „Slaying the Dreamer“ gut ausgewählt und auch das MEGADETH-Cover von „Symphony Of Destruction“ durchaus gelungen.
Der Kreischfaktor während des ganzen Konzerts war zum Glück nicht so hoch wie befürchtet, vielleicht ging es den meisten Leuten so wie mir und sie fanden Zugang zu Tuomas’ fantasievoller Welt, die keiner weiteren Erklärung bedarf...Deep Silent Complete eben.

Nach etwa eineinhalb Stunden der kompletten NIGHTWISH-Extase verschwanden leider auch die derzeitigen Welteroberer aus Kitee von der Bühne und setzten mit SONATA ARCTICA am nächsten Tag ihre weite Reise als Botschafter der tiefen Gefühle und Repräsentanten der finnischen Mentalität fort.


FOTOS + E-CARDS
www.nightwish.com

Kristina
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Beitrag vom 09.11.2004
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