Interview mit AVATAR - Die Zeit läuft gnadenlos weiter


Der verrückte Albtraum-Clown und seine Jungs von AVATAR sind mit dem bisher stärksten und abwechslungsreichsten Album ihrer Karriere zurückgekehrt. Worum es in dem ambitionierten Konzept-Album "Feather & Flesh" geht, erklärte uns Frontmann Johannes beim gemütlichen und interessanten Plausch am Telefon.


Hi Johannes, wie gehts dir gerade?


Sehr gut, wir sind gerade hier in den USA auf Tour.




Willst du das Interview wie letztes Jahr wieder auf englisch durchziehen?


Nein, nein. Ich finde solche Interviews sind immer eine gute Übung und zur Zeit bin ich auch etwas geübter.


Dann starten wir mit den Fragen zu eurem neuen Album „Feathers & Flesh“. Ihr habt es erneut geschafft, euer vorheriges Album zu schlagen. Wie geht es euch so kurz vor der Veröffentlichung mit dem Material?


“Feathers & Flesh“ war ein Wahnsinnes Prozess. Wir haben relativ spät mit dem Songwriting angefangen und daneben auch noch einige Tourneen gespielt. Dazu kommt, dass es unser bisher kompliziertestes Album ist, was an dem Konzept liegt und dass das Album über eine Stunde lang ist. Das macht schon einen großen Unterschied. Als wir dann ins Studio sind, war das schon sehr intensiv. Es fühlt sich komisch an, wenn der Release kommt, denn in meinem Kopf findet der schon statt, wenn ich das Master bekomme. Weil dann ist das Kind geboren. Jetzt in ein paar Tagen hat es so seinen ersten Schultag. Die Lieder gehen dann in die Schule und rufen einen an, dass sie erst später zum Essen kommen, weil sie noch zu einem Freund wollen. Und da sitzt man dann und denk sich, die sind jetzt ein Teil der Welt (lacht). Es ist auf jeden Fall ein sehr besonderes Gefühl. Mehr als jemals zuvor, weil das Konzept das Album auch viel persönlicher macht.


Was mir schnell aufgefallen ist: Das Album ist weniger hart und auch die Growls sind weniger geworden. War das eher eine natürliche Entwicklung auf Grund des Konzeptes oder habt ihr das bewusst gewollt?


Nö. Also wir schreiben viel und planen dabei wenig. Das kam aus mehreren Gründe. Es ist ja eine sehr traurige Geschichte, die wir erzählen, da mussten wir eine passende Atmosphäre erzeugen. Der andere Grund ist – ich glaube „Schlacht“ war unser härtestes Album, das war schon intensiv – wir suchen aber auch immer neue kreative Wege. Es soll uns ja auch zu 1000% motivieren. Es muss sich einfach richtig anfühlen, wenn ich Growls verwende. Wir waren sowieso nie eine echte Old-School Death Metal Band, auch wenn wir uns davon sehr inspirieren lassen und immer Old-School Death Metal Fans waren. Wenn ich jetzt ein Lied oder ein Riff habe und ein Gefühl von, ich weiß nicht... OBITUARY oder CARCASS oder was da los ist, dann macht es jetzt wirklich Spaß, wenn ich das singe. Ich bin ja jetzt auch mehr geübt in meinen, ich nenne sie „Halford-Moments“.


Das war auch jetzt absolut keine Kritik. Das Album ist sehr ausgewogen und stimmig. Vor allem merkt man, dass du ein breiteres Spektrum an cleanen Vocals bietest. Hast du da bewusst an deiner Stimme gearbeitet?


Ach, das war auch überhaupt nicht als Kritik aufgefasst. Also was ich mache, dass ich es mir immer selber schwierig mache. Wir schreiben unsere Riffs und sammeln unsere Ideen. Dann sage ich mir oft, hier will ich so singen... aber, kann ich noch nicht (lacht). Und daraus versuche ich etwas aufzubauen. Und wenn ich das einmal im Zimmer daheim beim Demo-Machen schaffe, es tat zwar weh, aber ging. Dann kann ich das und übe für das Album um es noch besser zu machen, auch dann für die Live-Konzerte. Aber auch abseits davon, suchen wir als Musiker und auch auf technischer Seite immer neue Herausforderungen. Shredding und High-Pitch... waaahhah, ist geil und das gehört auch im Heavy Metal dazu und wollen das auch trotz so einem ernsten, dunklen Konzept haben.




Ihr habt ja „The Eagle Has Landed“ als erste Single veröffentlicht...


Ja, das ist immer so kompliziert, also vier Lieder sind schon raus, aber „Eagle“ ist die erste Single, ich verstehe jedoch selber nicht ganz was da der Unterschied ist. Wir haben dafür zumindest ein Video gemacht und es kommt auch ins Radio. Das wird wohl der Unterschied sein.


Wie kam es zu der Entscheidung? Der Song ist ja sehr eingängig und hat für mich persönlich „Paint Me Red“ als größten Orhwurm von euch abgelöst.


Also wir suchen uns die Singles nie selber aus. Wir schreiben Songs und Alben. Da darf das Label nichts dazu sagen. Damit haben sie nichts zu tun. Wir sind am besten, wenn wir wir selber sind und bleiben. Keine Leute im Studio und das Label bekommt keine Demos. Aber wenn es fertig ist... ich bin eigentlich kein Single-Mensch als Musiker und Songwriter. Aber das Label macht dann Vorschläge und diskutiert mit uns solche Themen. Ich könnte das sowieso nie selber entscheiden. Wenn man eine Single schon im vorhinein schreiben will, dann ist das Risiko groß, dass es billig wird.


Worum geht es in dem Song, bzw. erzählst du noch kurz was zum Konzept?


Es geht um eine Eule, die in den Krieg zieht um zu verhindern, dass die Sonne morgen aufgeht. Die Eulen sind in der Nacht die Könige des Himmels. Diese Märchenfigur kann sich nur an die Nacht erinnern und versteht das Konzept vom Tag nicht. Und in dieser Nacht kommt der Adler und er ist der König des Tages. Es ist für ihn so programmiert, das jetzt seine Zeit, sein Land kommt und die anderen müssen vom Thron weichen. Die Eule denkt, wenn sie den Adler tötet, kommt auch die Sonne, also der Tag nicht. Wir verstehen das natürlich, dass die Sonne jeden Morgen kommt. Die Zeit geht gnadenlos weiter, was die Eule aber erst lernen muss. Nur versagt sie komplett.

Bei „The Eagle Has Landed“ treffen die beiden das erste Mal aufeinander. Der Adler kommt und erklärt sein Mission Statement und wie er sich selbst sieht. Für mich ist das eine Referenz an „Die Schöne und das Biest“. Gaston gibt im Gasthaus an, wie toll er nicht ist. Aus seiner Sicht ist er der große Held. "Ich töte das Monster und rette das Mädchen!" Und wir die Zuseher wissen: er ist ein Arschloch. Also auch der Song ist aus der Sicht des Adlers, der sagt „ladys and gentleman the hero has returned again...“. Jetzt ist alles toll, weil ich hier bin. Aber wir lesen ja die Geschichte aus der Sicht der Eule und der Adler ist somit der Antagonist. Jedenfalls geht es in dem Album sehr viel um Perspektiven. Aus seiner Sicht ist er natürlich der Held, aber da wir das aus der Sicht der Eule erleben, wissen wir, dass er das Arschloch ist.



Ich mag Alben in die man sich reinlesen und auch reinleben kann sehr gerne. Wie bist du eigentlich auf die Idee zu diesem Konzept gekommen?


Erstens haben wir uns die Frage gestellt, was die nächste Herausforderung, der nächste unnatürliche Schritt in unserem Leben ist. Wir wollen immer etwas finden, was das Machen des Albums schwierig macht. Einfach weil wir uns als Künstler weiterentwickeln wollen. Als erstes kam die Idee zum Konzept, aber wir wussten noch nicht was. Da kam erst die Idee irgendwas über mich als Horror-Clown zu machen, vielleicht mit Geister oder was... ach nein, das ist scheiß, wieder weg damit. „Black Waltz“ hatte zwar keine Geschichte, aber bereits das Gefühl mit dem Charakter. Der Schritt wäre nicht groß genug gewesen.

Das nächste war – ich bin ja ein großer BLIND GUARDIAN Fan, die haben mit „Nightfall At Middle Earth“ das Silmarillion verarbeitet. Da habe ich überlegt, was wir in die Richtung nehmen könnten. Da kam ich auf den schwedischen Schriftsteller Vilhelm Moberg, jedoch weiß ich von dem Werk den deutschen Titel jetzt nicht – Utvandrarna (Anm. Die Auswanderer). Hier gibt es viel Material, das man wunderbar verwenden könnte. Aber das haben die Leute von ABBA bereits als Musical gemacht und ich so: Scheiße, können wir nicht machen, ist schon besetzt. Irgendwie kam ich als nächstes an Fabeln, die der Clown erzählen könnte. Also Märchen, nur wollte ich da etwas rumspielen und habe diese Archtypen in Tiere verändert. Es war eine langsame Entwicklung, aber hat dann irgendwann funktioniert.





Es wird ja auch ein Buch dazu geben. Das hat noch keine Band zuvor gemacht. Wie kam es zu der Idee und was erwartet uns?


Es war einfach zu viel Material für ein Booklet. Die Geschichte ist so geschrieben: Die Texte in den Liedern sind die Dialoge und Monologe der Tiere. Die Geschichte selbst sollte wie ein großer, alter Epos sein, wie Dante, die Edda oder etwas von Goethe. Die Geschichte ist 109 Strophen lang. Wir wollten es mit dem Respekt behandeln, den es verdient hat. Wenn wir das alles in ein Booklet gequetscht hätten, wäre das Schrott gewesen. Es ist viel ernster als es erscheinen mag. Ich finde es toll, dass man so viele verschiedene Medien verwenden kann. Die einen kaufen noch Vinyl, andere verwenden Spotify, Youtube oder laden über Torrent. Das Konsumieren von Musik wird einfach immer schneller und schneller. Mach mal eine Playlist auf Spotify und höre da vielleicht nur ein halbes Lied und klicke weiter. Mit dem Buch macht man die Leute noch neugierig auf die Texte und die Geschichte. Es bringt die Kultur wieder, etwas Physisches in Händen zu halten, während man die Musik hört.


Du sagtest ja, dieses Konzeptalbum zu machen, war schwerer als die vorherigen Werke zu schreiben. Auch wenn ihr euch nicht kopieren wollt, kannst du dir vorstellen erneut ein Konzeptalbum in irgendeiner Form zu machen?


Auf jeden Fall muss das nächste Album nochmal etwas anderes sein. Was ein Konzeptalbum sein kann, ändert sich immer. Eine Geschichte wie jetzt, damit sind wir fertig. Aber wir können ein bestimmtes Thema oder eine Richtung haben, bzw. dass es eine Vision gibt, das bleibt sicher. Nächstes Mal müssen wir wohl einen kompletten Film oder ein Musical zu machen um eine neue Herausforderung zu finden. Als wir angefangen haben, wussten wir noch nicht wie man eine Geschichte schreibt und diese in Musik formt. Jetzt wissen wir das und da bin ich einfach nicht mehr so neugierig. Wenn man es aber übertreibt, kann man auch den Fokus auf die Musik verlieren. Es ist immer noch ein Album das aussagt: Heavy Metal, Fist in the air, jetzt trinken wir ein Bier oder auch 20. Alles was da früher mit AVATAR los war, ist noch immer los und existiert auf dem Album. Es ist schwer, nach so einer Reise wieder unkonzeptionell zu werden.


Dann können die Fans jedenfalls absolut gespannt sein, was euch als nächstes einfällt.


Ja, das bin ich auch. (lacht)


Mir sind dieses Mal gewisse Einflüsse aufgefallen. Was hältst du davon wenn ich SYSTEM OF A DOWN („For The Swarm“), MORBID ANGEL („One More Hill“) oder NEVERMORE („Black Waters“) erwähne?


Was war das letzte?


NEVERMORE.


Ah, das ist interessant. Ja also, wenn mann 1000 Einflüsse verwendet, kann man damit völlig offen sein. „For The Swarm“ ist für mich eine Mischung aus SYSTEM OF A DOWN und STRAPPING YOUNG LAD, was die Intensität angeht. Das kommt auch von dem Repetitiven in dem Album. Zum Schluss ist der Chor für mich der QUEEN-Moment. Das macht auch im Studio sehr viel Spaß. Und MORBID ANGEL bei „One More Hill“. Der Growl-Teil sollte auf jeden Fall Old-School Death Metal mit Groove sein. NEVERMORE habe ich selber nie so viel gehört. Meine Freundin ist ein riesen Fan. Das war für mich etwas JOHNNY CASH mit so Stomp-Clamp darin. Es sollte ein Gefühl von Angst erzeugen.


Bei „Tooth, Beak And Claw“ sind auch noch ein paar interessante Einflüsse drin.


Das ist sehr witzig. Der Song war vor dem Studiobesuch noch nicht gut genug fürs Album, da waren die Drums noch sehr anders. Bei mir hat es zu dem Zeitpunkt ein AMON AMARTH-Gefühl verursacht. Ich mag die Band und weiß, dass sowas gut ankommt. Aber wir haben noch viel damit rumgespielt. Wir haben so zum Spaß anfangs gesagt, das ist eine Surfgitarre und dann haben wir etwas experimentiert und plötzlich passte alles zusammen. Wir haben noch den Chorus verändert und alles drum herum aufgebaut. Das Prinzip ist: guten Metal zu machen. Das Riff muss geil sein und dann kannst du überlegen wie der Beat dazu cool wäre. Wenn der Groove passt, dann wird es oft viel einfacher.


Dadurch ist es sicher das abwechslungsreichste Album von AVATAR.


Ja, das liegt daran, dass ich mich viel von QUEEN und den BEATLES beeinflussen lasse. Vor allem das „White Album“ und „A Night At The Opera“. Da sind so viele verschiedene Sachen los und dennoch klingt alles immer nach den BEATLES oder QUEEN. Wir wollten einfach etwas Ähnliches schaffen.




Lass uns zum Ende nochmal kurz zu „Hail The Apocalypse“ kommen. Du hast damals „Tsar Bomba“ auf deutsch gesungen. Wie kam es dazu, da diese Bombe ja eine sowjetische Erfindung war?


Das ist sehr interessant. Das Thema, worauf ich sehr wütend war, hat eine Connection mit meiner deutschen Familie. Ich kenne ein paar Leute, an die ich dabei dachte. Es ging um die Anti-Gay Gesetze in Russland. Das Ganze war etwas deutsche Rache von mir. Es ist so etwas wie eine Tradition von mir. Auf „Black Waltz“ gab es ja einen Song in Schwedisch. Und wenn wir nicht ein Konzeptalbum gemacht hätten, gäbe es jetzt auch einen finnischen Song, da ich seit zwei Jahren schon in Finnland lebe. Die Tradition ist, dass immer wenn ich extrem sauer bin, singe ich die Songs darüber auf eine andere Sprache. Das bringt mir etwas extra Inspiration. Meine Mutter hat mir damals beim Schreiben geholfen, sie ist somit Co-Writer von „Tsar Bomba“ (lacht).


Haha, dann danke ich dir für deine Zeit und das Interview. Möchtest du noch etwas sagen?


Also ich muss sagen, ich bin dieses Mal sehr viel mehr zufrieden mit meinem Deutsch. Danke, hat Spaß gemacht.


Gerne doch. Ich hoffe wir sehen uns bald mal wieder irgendwo auf Tour!



avatarmetal.com

Autor: maxomer

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Beitrag vom 25.05.2016
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