Interview mit TODTGELICHTER - Die Sippe des Todes


Die Hamburger Band TODTGELICHTER geht bereits seit vielen Jahren ihren ganz eigenen Weg im Bereich des progressiven Black Metals und konnte damit viele Fans gewinnen. Wir hatten nun die Gelegenheit, dem Drummer Tentakel P. einige Fragen zu stellen, die uns sehr ausführlich beantwortet wurden.


Hi. Eure Live-Erscheinung ist sehr interessant, denn ihr tretet ja immer ganz in Weiß auf – warum?


Das war damals die Idee unseres Künstlers Y. Wir wollten zur „Angst“ weg von der BM-Ästhetik (da es einfach nicht mehr zur Musik und zur Stimmung passte). Das Weiß – und somit wir - ist quasi die Leinwand für das, was in der Musik passiert. Die ganze Band wird zur Projektionsfläche für unsere Live-Darbietungen. Außerdem symbolisiert es auch die ausgewogene Wichtigkeit jedes einzelnen Mitgliedes gleichsam wie die Unterordnung in das große Ganze, was in der Manifestation TODTGELICHTER mündet. In Japan ist weiß die Farbe der Trauer, das ist dann noch das metaphorische Sahnehäubchen.




Als ich euch das letzte Mal gesehen habe (Ragnarök 2014) hattet ihr auch eure Haare und Gesichter mit weißer Farbe „verziert“. Womit und wie lange habt ihr gebraucht um die wieder herunterzukriegen?


Das geht eigentlich mit einem mal Duschen alles wieder raus bzw. mit Feuchttüchern, halb so wild. Für die Haare gab es immer einen Mix aus Titandioxid und Haargel, Gesicht ist simple Theaterschminke. Allerdings verzichten wir seit kurzem auf das Weißen der Haare. Wir haben uns ein paar Livegallerien angesehen und festgestellt, dass das im Schwarzlicht und dem normalen Bühnenlicht eh kaum einen Unterschied macht, und da das doch ne ziemliche Sauerei ist, lassen wir das nun weg. Kannst du unter Faulheit verbuchen, haha. Aber man sieht es eben kaum, der Aufwand steht in keinem Verhältnis und der Rest der Visualisierung erzielt immer noch den nötigen Effekt.


Euer Bandname ist sehr bedrohlich. Wie ist er entstanden?


Das war Marta’s Idee. Ist eine aus dem Mittelhochdeutschen entnommene Wortschöpfung und bedeutet „Sippe des Todes“. Wir haben den Tod und seine Aspekte immer als begleitendes Thema gehabt, auch wenn jedes Album ein anderer roter Faden zugrunde liegt. Sterblichkeit, Melancholie, ein Überwältigt sein von allem, was mit Leben bzw. modernem Zusammenleben zusammenhängt. Viele Texte lassen sich auch unterschwellig interpretieren, dass zwar vordergründig Themen angesprochen werden die uns stören/wütend machen/verzweifeln lassen, aber letztendlich im Schatten der letzten, ewigen großen Dunkelheit nichtig werden. Dieser durchgehende Fatalismus findet sich auch heute noch passend in unserem Namen wieder.


Möchtet ihr denen, die euch nicht so gut kennen, etwas über TODTGELICHTER erzählen? Wie habt ihr vor 14 Jahren zusammengefunden und was waren eure größten Highlights, aber auch Tiefschläge?


Da gibt es zwar schon eine ganze Menge im Netz aber ich versuche es mal kurz. Frederick und ich haben die Band im Jahre 2002 gegründet. Wir konnten zwar nichts aber wollten gleich eigene Songs schreiben. Du kannst uns mit jedem Release als Musiker reifen hören. Nach einem Demo hatten wir den ersten Plattenvertrag bei Folter Rec., da kamen zwei BM Alben raus. Die haben wir auf die Bühne gebracht und uns einen Namen erspielt. Mit „Angst“ haben wir uns vom BM verabschiedet und sind extrem und progressiv geworden. Ist wohl auch bis heute unser größter Achtungserfolg und wird von vielen Fans als Bruch aufgefasst – von uns übrigens nicht… ist halt immer wohl ein Problem wenn man nur die Releases als Angelpunkte hat; für uns, die wir nie aufgehört haben zu proben fließt alles natürlich und stetig. Aber die Line-up Wechsel sind natürlich noch mal schwierig für Fans wenn sich gleichzeitig der Stil entwickelt, das gebe ich zu. Naja, mit „Angst“ besserten sich auch die Möglichkeiten, wir haben Touren und Festivals vor immer mehr Leuten gespielt. „Apnoe“ zwang uns dann in eine familiär bedingte Auszeit, da Marta und ich verheiratet sind und eine Tochter bekommen haben. Und der Tiefschlag war dann wohl in Folge die Bandneustrukturierung, als wir uns aus verschiedenen Gründen von der Hälfte unserer Mitglieder trennen mussten. Beinahe hätte es uns in Folge nicht mehr gegeben. Aber wir haben uns wieder neu gesammelt und nun ein super Line up für „Rooms“ am Start. Die Konzerte die wir in dieser Konstellation gespielt haben waren für alle Beteiligten extrem geil – wir fühlen uns so stark wie nie zuvor und hoffen das noch lange weiter zu präsentieren!



Eure drei letzten Cover waren sehr minimalistisch. Was wolltet ihr mit diesen sparsam gestalteten Aufdrucken bewirken?


Ich bin ein Freund der Konzentration auf das vermeintlich Simple. Die Cover sind minimalistisch, aber sie transportieren dennoch ungeheuer viel Tiefgang. Es sind gleichsam Symbole, die das gesamte Album auf den sprichwörtlichen Punkt bringen – ausdrucksstarke Metaphern für die zugrunde liegenden Albumtitel. Wir hatten das unwahrscheinliche Glück, mit zwei auf ihre eigene Weise genialen Künstlern zusammenzuarbeiten, die in der Thematik aufgegangen sind und ihr eigenes Wesen und Interpretation eingebracht haben. Y hat meines Wissens nach sonst nie etwas anderes für Bands gemacht, und Truls Espedal außer für ENSLAVED nur noch für ein, zwei weitere Bands. Umso mehr fühlen wir uns geehrt, mit unserer Musik solche begnadeten Künstler zu inspirieren und anzusprechen. Die Ergebnisse können für mich auch alleine das Gefühl der jeweiligen Alben transportieren und darauf kommt es letztlich an. Wir können wenig mit irgendwelchen cool gemalten Covern mit irgendwelchen Kriegern und Drachen drauf oder überladenen Photoshopkompositionen anfangen – Alles hat seinen Platz, aber für uns passt so was nicht.


Nun zu eurem neuen Album „Rooms“. Wie lange habt ihr daran gearbeitet und wie läuft bei euch das Songwriting ab?


Normalerweise kommen die Gitarristen mit ein zwei zusammenhängenden Ideen in den Proberaum und wir jammen dann darauf herum. Meistens bleibt was hängen, die Gitarristen nehmen das mit nach Hause und lassen sich zu Folgeriffs inspirieren. Was wir dann wieder zusammen im Proberaum arrangieren, bis irgendwann mal der Song fertig ist. Immer mal wieder auf den Alben gibt es auch einen Alleingang, „Phobos & Deimos“ kam von Claudio, „4JK“ von Frederic und „Necromant“ von Frieder und mir. Das ist dann meistens zu 90-95% fertig, die anderen geben dann noch etwas Senf dazu und das war es. In der Regel komponieren wir immer so über ein Jahr. Bei „Rooms“ haben sich die Aufnahmen etwas gezogen, aber auch nur weil zwischen den Sessions so zwei, drei Wochen Zeit lagen bis der nächste Zeit hatte. Hat sich etwas anstrengender angefühlt, sonst sind wir immer am Stück im Studio gewesen. Ließ sich aber leider dieses Mal nicht anders machen.




Auf dem Album finden sich sehr unterschiedliche Sounds. Ist euch Variantenreichtum wichtig?


Wenn du die unterschiedlichen Elemente meinst, ja, wir experimentieren gerne herum. Es hilft nicht mehr das zu verleugnen, irgendwie können wir nicht so recht simpel. Variantenreichtum ist zumindest mir extrem wichtig, ich möchte von Musik nicht gelangweilt werden. Wenn Bands zu sehr in Schemata festhängen stört mich das bzw. mir fällt es negativ auf. Ein Beispiel, dass ich leider (leider, da ich die Phase um 1999-2003 vergöttere) herum nennen muss, sind die neueren ANATHEMA Sachen, besonders das letzte Album: "Ravel’s Bolero" lässt grüßen. Ein Thema, ruhiger Aufbau, immer mehr Instrumente dazu, Höhepunkt, Schluss. Nächster Track, gleiches Schema. Ich finde es immer schade, dass Bands so etwas selber nicht auffällt - oder vielleicht noch schlimmer, wenn es das tut und es dennoch gemacht wird. Aber vielleicht denke ich da zu kompliziert. Ich bevorzuge jedenfalls Weiterentwicklung und Abwechslung.


„Lost“ besteht großteils aus Orgelspiel. Seid ihr Fans dieses Instruments und seht ihr euch gerne Kirchen an?


Seit wir Frieder haben, ja, haha! Die Sache ist die, dass Frieder das Instrument richtig bedienen kann und es gelernt hat. Zumindest Frederic, Marta und ich sind– was den Metal angeht - in den 90ern musikalisch großgezogen worden, also spielte neben Black Metal eben auch (damals noch richtiger!) Gothic Metal eine Rolle. Ich bekenne mich auch heute noch zu CRADLE OF FILTH und DIMMU BORGIR, aber damals waren auch PARADISE LOST, MY DYING BRIDE, TYPE O NEGATIVE, TIAMAT, MOONSPELL und Konsorten ein großes Thema bei mir. Was mich immer schon gestört hat waren allerdings die extrem schlechten fremdschäm-Synthorgeleinsprengsel so mancher Band damals, das Bontempi-Churchsound-Gedudel hätten sich 95 % Prozent aller Delinquenten sparen können. Richtig oder gar nicht. Und das haben wir nun gemacht. Und ja, ich sehe mir tatsächlich gerne Kirchen an, aber nicht weil ich so wahnsinnig religiös wäre. Aber dieses fremdartige, jahrhundertalte Sakrale fasziniert mich.


In „Necromant“ habt ihr sehr viele experimentelle Sounds verpackt. Wie wichtig ist der Synthesizer für eure Musik?


Ich persönlich finde diese programmierten, Loop- und Sampleelemente wichtig, da ich diese gerne als Auflockerung zwischendurch höre, oder am besten gleich richtig verwoben – ohne diesen Bands nacheifern zu wollen – wie es u.a. MANES, ULVER, ABORYM oder RED HARVEST tun. Ich will, wie gesagt, beim Hören nicht gelangweilt werden. Dennoch ist das kein Selbstzweck. Auf „Rooms“ hat das Sinn gemacht, auch um das Dreigestirn „Lost“-„Shinigami“-„Necromant“ zu umreißen. Wenn du so willst ist „Lost“ das bereits Vergangene (daher das klassische Instrument), „Necromant“ das, was in Zukunft vergangen sein wird (deshalb die „futuristischen“ Klänge) und „Shinigami“ das Bindeglied, Ying und Yang, Tod und Leben, Hell und Dunkel. Oder „Shinigami“ ist der Hauptteil und „Lost“ und „Necromant“ Intro und Outro. Es kommt auf den Blickwinkel an. Für mich ist aber klar, dass die als Tryptichon – auch lyrisch - zusammengehören. Das ist visuell auf der CD dargestellt, die Titel stehen als einzige anders herum auf dem Backcover. Aber wie erwähnt, hier machen die elektronischen Elemente Sinn. Es muss song- bzw. albendienlich sein. Und das Grundgerüst bei uns muss immer auf „richtigen“ Bandsongs stehen – ein komplettes Abrutschen ins Elektronische kann ich mir nicht vorstellen, nicht unter diesem Bandnamen.


„Zuflucht“ ist der härteste Track auf dem Album. Verarbeitet ihr darin persönliche Erfahrungen?


Ja, wie auch in eigentlich fast allen anderen Songs, aber das ist Frederic’s Text. Ich weiß aus erster Hand worum es darin geht – und um wen – aber ich weiß nicht in wie weit er das öffentlich machen will. Es geht jedenfalls nicht unbedingt um das, was man da vielleicht herauslesen mag.


Es ist auch der einzige deutsche Song – warum singt ihr sonst nur Englisch?


Achtung, „Schrein“ wäre dann der zweite Song mit deutschem Text, nicht wahr? …es stimmt aber, deutsch ist schon seit „Angst“ zurückgefahren worden. Das liegt einfach daran, dass ich, der die meisten Texte schreibt, mich im Deutschen ausgetobt habe und einfach im Englischen gerade besser Texten kann. Fühlt sich einfach richtiger an, um meine Gedankengemälde zu beleben. Die deutschen Texte, die ich außerdem für „Rooms“ im Auge hatte, haben letzten Endes nicht zu Songs gepasst. Vielleicht werden sie beim nächsten Album verwendet. Es gibt so eine Art gefühltes TODTGELICHTER-Universum, in denen die Texte vorkommen, und wenn alles nach Plan läuft wird das nächste Album alte Thematiken wieder aufsuchen, es könnten dann also auch von mir wieder mehr deutsche Texte kommen.


Wo findet ihr die Inspiration für eure Songs und Texte?


Überall. Filme, Bücher, Nachrichten, persönliche Erlebnisse, Computerspiele. Teilweise auch andere Bands, aber das geschieht eher unterbewusst. TODTGELICHTER ist ein Ventil für uns, um einigermaßen „normale“ Leben leben zu können. Wobei das jeder Texter anders ausdrückt, Frederic ist relativ direkt, Marta zwar introvertiert aber auch noch nachvollziehbar, und bei mir spielen sich eher metaphorische Filme im Kopf ab. Eher wie Träumen. Ha, auch eine Inspiration für mich übrigens.


Ihr werdet mit AGRYPNIE auf Tour gehen. Kennt ihr diese Band bereits und freut ihr euch schon darauf bzw. was erwartet ihr euch von dieser Tour?


Wir hassen uns abgrundtief. Deswegen spielen wir auch immer wieder zusammen oder unterstützen uns mit Gastauftritten: Um uns unser tiefen gegenseitigen Abneigung zu versichern. Denn nur wenn wir schlechte Laune haben, können wir unser Material authentisch rüberbringen. Ich könnte mir also keine Band vorstellen, mit der ich weniger gerne touren würde. Niemals würde ich mich auf eine Tour mit Leuten begeben, die ich wirklich mag und denen ich mich auch in musikalischem Ausdruck verbunden fühle, oder gar Spaß habe abseits der Bühne. Na, und deshalb haben wir uns auch dieses Mal wieder mit AGRYPNIE zusammengetan. Ich erwarte blutige Kämpfe zwischen unseren Fans und ich will auf gar keinen Fall, dass irgendwer Spaß hat auf der Tour. Musik ist dabei natürlich Nebensache, das ist ja klar! Und wer am Ende das meiste Merch verkauft hat, hat gewonnen – also kauft bitte alle fleißig unsere Anti-AGRYPNIE Shirts. Und wer das Ernst genommen hat, dem signieren AGRYPNIE bestimmt auch noch ihre Anti-TODTGELICHTER Shirts. Alles klar? Wir sehen uns also vor der Bühne!




Welche Pläne habt ihr für die Zukunft?


Eigentlich würde ich gerne schreiben, dass wir nach fast 15 Jahren Bandgeschichte und verhältnismäßig viel Erlebtem hinter uns eigentlich nicht mehr richtig planen, sondern eher schauen, was alles so auf uns zukommt. Dem gegenüber stehen aber die Tatsachen, dass wir - wenn alles wie geplant läuft - bereits bis Ende des Jahres zugebucht sind, es wird auch bald entsprechende Ankündigungen geben (naja, Platz für den einen oder anderen Einzelgig ist natürlich immer), außerdem sind die nächsten zwei Alben auch schon durchgeplant, den „Rooms“ Nachfolger wollen wir bis Mitte 2017 fertig komponiert haben. Man darf also gespannt bleiben, haha.


Und dann bitte noch einige Worte an unsere Leser?


Auf gute Fragen antworte ich gerne ausführlich, viel und mit extra Hintergrundinformationen. Wenn ihr also das hier lesen könnt, weil ihr nur zum Schluss gescrollt habt – husch, husch zurück und alles lesen. An alle, die das getan haben – nicht schlecht, Respekt! Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. Und wenn ich euch unser neuestes Album „Rooms“ ans Herz legen dürfte – es steckt viel Arbeit und Liebe darin, wir würden uns freuen viele Leute damit erreichen zu können.


Ich bedanke mich für die Beantwortung meiner Fragen und wünsche euch für die Zukunft das Allerbeste!


Danke für die guten Fragen – die Wünsche geben wir zurück!




www.facebook.com/Todtgelichter

Autor: Metalmama

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Beitrag vom 04.05.2016
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