Interview mit ELUVEITIE - Chronisten des Gallischen Kriegs


Die Schweizer ELUVEITIE haben mit „Helvetios“ ein sehr durchdachtes und historisch fundiertes Konzeptalbum über den Gallischen Krieg veröffentlicht. Sängerin und Flötistin Anna stand uns Rede und Antwort.

Hallo Anna! Ihr seid gerade in den USA auf Tour. Wie läuft es bisher?


Ganz gut, wir (okay, einige von uns) lieben Amerika und das Touren an sich, also kann's ja fast nicht besser sein. Beim CHILDREN OF BODOM-Publikum scheinen wir auch ziemlich gut anzukommen.




Ein kurzer Rückblick auf die Neckbreaker’s Ball Tour? Wie wars für euch und habt ihr irgendwelche interessanten Tourerlebnisse zu berichten?


Ich glaube im Gesamten war die Tour ganz okay. Für mich persönlich nicht der Hammer, da ich bereits nach einer Woche kaum spielen konnte, dank einer Sehnenscheidenentzündung. Abgesehen davon habe ich auf der Tour gearbeitet und die Spuren für unser neues Album editiert, was mir ganz gut tat - Beschäftigung ist wichtig.


Viel Zeit zum Ausruhen hattet ihr ja nicht. Albumaufnahmen, die Neckbreaker’s Ball Tour, jetzt USA Tour, danach ist eure erste Headlinertour durch Europa geplant, ihr wollte es jetzt wirklich wissen, oder? Ich nehme an, die Band ist euer Vollzeitjob?


Ja, das wollen wir! Also die Band hat erste Priorität und ist in dem Sinne ein Job, ja. Gewisse von uns haben jedoch Nebenjobs, so einfach ist es leider noch immer nicht, dass alle von uns zu 100% von der Musik leben könnten. Ich arbeite momentan in einem Studio als assistierende Tontechnikerin.




Wie waren die ersten Reaktionen auf „Helvetios“ bislang?


Total unterschiedlich. Was auf Internetplattformen abgeht weiß ich ehrlich gesagt nicht, das interessiert mich zu wenig. Aber von den Journalisten hört man alles, von „ihr seid viel härter geworden“ zu „mir scheint ihr seid softer und poppiger geworden“. Aber die Meinungen, welche mich interessieren, finden hauptsächlich, dass es unsere beste Scheibe bis jetzt ist und das freut mich, da ich das auch so sehe. Ob wir nun härter oder softer geworden sind, ist mir ziemlich egal bzw. ich kann das nicht beurteilen, wir machen einfach was uns gefällt.


Bei „Helvetios“ handelt es sich um ein Konzeptalbum, das sich mit dem Gallischen Krieg beschäftigt. Dabei habt ihr nicht mal schnell in ein paar Asterix und Obelix-Heftchen geblättert, sondern mit Historikern zusammengearbeitet, um einen tiefern Einblick in die Thematik zu erlangen. Wie genau sah diese Zusammenarbeit aus? Konntet ihr unter den honorigen Herrschaften auch ein paar neue ELUVEITIE Fans gewinnen?


Grundsätzlich bedurfte es nicht wahnsinnig intensiver Recherchen zum gallischen Krieg, da dies ja ohnehin eine Thematik ist, mit welcher sich Chrigel schon jahrelang auseinandersetzte. Wenn auch ein dunkles Kapitel, so ist der gallische Krieg dennoch ein wichtiges Kapitel in der Geschichte Galliens, auf welcher seit jeher der hauptsächliche Fokus des Konzeptes hinter ELUVEITIE steht.

Das besondere bei „Helvetios“ war, dass wir die Geschichte des gallischen Krieges aus der Sicht der Gallier, insbesondere der Helvetier schrieben. Das war ein nicht ganz einfaches Unterfangen, zumal sich das heutige Wissen um diesen Krieg hauptsächlich auf römische Schriften stützt - also auf Schilderungen der Sieger. Dass diese nicht immer 1:1 die Realität widerspiegeln und die Version der Verlierer wohl ganz anders aussähe, liegt auf der Hand. Insofern war also sehr viel "zwischen den Zeilen lesen" angesagt, ganz viel Hinterfragen und auch eine Menge historisch fundierte Hypothesen. Und dies war der Hauptkern der Zusammenarbeit mit Wissenschaftern. Alle hypothetischen Ausführungen auf „Helvetios“ sind auf aktuellsten wissenschaftlichen Stand gestützt.

Ob wir aus den Zusammenarbeiten ELUVEITIE-Fans gewinnen konnten? Jein. Also, grundsätzlich ja. Aber dies passierte schon lange vor „Helvetios“. Wir arbeiten seit „Spirit“ mit diversen Universitäten zusammen. Unter andern mit dem keltologischen Seminar der Universität in Wien. Inzwischen ist eigentlich eher von einer Freundschaft, denn von einer rein sachlichen Zusammenarbeit zu sprechen.





Kannst du ein wenig auf die Inhalte der Songs im Einzelnen eingehen?


Wenn du einen ziemlich langen Aufsatz abdrucken oder zusammenfassen möchtest, gerne ;-) Es ist ziemlich schwierig das zusammenzufassen bzw. Songs auszuwählen welche „wichtig“ sind. Das Album erzählt eine ganze Geschichte, ein roter Faden zieht sich durch die Songs durch und alles hängt somit zusammen. „Helvetios“ erzählt eine in sich geschlossene Geschichte über den Gallischen Krieg. Der erste Track „Helvetios“ schildert den Entstehungsmythos der Gallier, „Luxtos“ geht dann auf die Eigenschaften der Helvetier ein und bei „Home“ wird die Lage langsam ungemütlich durch den Druck Roms und gleichzeitige Überfälle der Barbaren aus dem Norden. „Santonian Shores“ beschreibt den Aufbruch der Gallier, welche sich dazu entscheiden umzusiedeln und daher vor ihrem Aufbruch symbolisch ihre Häuser und Felder verbrennen, das wird mit „Scorched Earth“ zum Ausdruck gebracht. „Meet the Enemy“ erzählt von einem nächtlichen Überfall der Römer auf den unvorbereiteten Gallischen Stamm, quasi der Beginn des Gallischen Krieges und „Neverland“ bringt die Enttäuschung der Illusion des „gelobten Landes“ zum Ausdruck. „A Rose for Epona“ erzählt die Geschichte einer jungen gallischen Frau, welche ihren Glauben an die Göttin Epona (unter anderem zuständig für den Schutz der Reiter) verliert, nachdem ihr alles was ihr lieb ist durch den Krieg genommen wird.

Bei „Havoc“ breitet sich der Krieg auf ganz Gallien aus und bei „The Uprising“ ist dies bereits passiert. Hier wird die Geschichte eines jungen gallischen Kriegers, Vercingetorix, erzählt welcher versuchte die Stämme zu vereinen. „Hope“ erzählt passend zum Songtitel von einem kurzen Augenblick der Hoffnung, dass Gallien doch frei bleiben wird, welche dann in „The Siege“ als vergeben gilt. In diesem Song geht es um die Schlacht um die Stadt Avaricum, in der der Gallische Aufstand niedergeschlagen wird und das Ganze in einem brutalen Blutbad endet. „Alesia“ ist wahrscheinlich der traurigste Song des Albums und handelt vom endgültig besiegten Gallien. In Alesia starben bei der entscheidenden Schlacht gemäß wissenschaftlichen Schätzungen über 50.000 Menschen und davon waren viele Zivilisten. Mit „Uxellodunon“ endet der Gallische Krieg und auch unser Album. Hier geht es um den letzten Versuch eines Aufstands, welcher von Anfang an zum Scheitern verurteilt war. Jedoch bringt dieser Aufstand doch noch etwas Symbolisches mit sich, der Stolz und die Unbeugsamkeit der Gallier.





Weg vom textlichen hin zur musikalischen Seite: Wie sah hier der Kompositions- und Aufnahmeprozess zu „Helvetios“ aus?


Eigentlich wie immer (Chrigel ist der Hauptsongwriter der Band) ausser, dass Ivo dieses Mal wesentlich mehr dazu beigetragen hat. Viele Songs stammen komplett aus seiner Feder und viele haben Chrigel und Ivo zusammen geschrieben. Meri und ich waren auch wie immer fleißig und schrieben hier und da einige Begleitungen und Melodien.

Produziert und gemischt wurde das Album von Tommy Vetterli (CORONER) in seinem New Sound Studio. Dort haben wir Schlagzeug, Gitarren, Lead Gesang und die Chöre aufgenommen. Da wir leider nicht genug Zeit hatten, um alles beim ihm aufzunehmen, kam ich zum Zug. Ich arbeite seit ca. einem Jahr in einem Studio in Luzern (www.soundfarm.ch) als assistierende Tontechnikerin und somit habe ich zusammen mit meinem Chef, Marco Jencarelli, in naher Zusammenarbeit mit Tommy die meisten Folk Instrumente, den Bass und meinen Gesang aufgenommen.



„A Rose For Eponia“ klingt meiner Meinung nach schon fast ein wenig nach Bands wie EVANESCENCE. Wird es das Stück als Single geben? Kann man auch in Zukunft mit etwas poppiger angehauchten Stücken, bei denen dein Gesang im Vordergrund steht, rechnen?


Das Stück wird es nicht als Single geben, „Meet The Enemy“ ist die Single des Albums. Es gibt jedoch einen Videoclip zum Song! Ich denke ich werde in Zukunft schon mehr mit meiner Stimme arbeiten. Ob das jetzt mehr oder weniger wird als auf „Helvetios“ steht in den Sternen geschrieben. Wir planen nicht voraus was wir machen, unsere Entwicklungen passieren sehr natürlich und spontan.




Wird es auch in Zukunft wieder mit Konzeptalben geben, oder war „Helvetios“ ein einmaliges Experiment? Die Schweizer Geschichte bietet ja noch einiges an interessantem Stoff, ich denke da nur einmal an Wilhelm Tell.


Ich denke es wird sicher wieder ein Konzeptalbum geben, da das für uns eine tolle Erfahrung war und es super zu unserer Band passt.


Die Frage nach den Zukunftsplänen spare ich mir jetzt, aber was mich interessieren würde, wie ladet ihr bei diesem anstrengenden Album-Tour-Rhythmus eure Batterien wieder auf?


Das ist von Person zu Person unterschiedlich. Jetzt gerade könnte ich kotzen, wenn ich daran denke, dass wir in ein paar Tagen 1,5 Monate zu Hause verweilen müssen bis die nächste Tour startet. Ich habe mir sogar überlegt meinen Aufenthalt in den USA zu verlängern, um hier noch irgend ein Abenteuer zu erleben ;-). Aber andere freuen sich bereits seit Wochen wieder auf die Heimat. Das kann man also wie man sieht überhaupt nicht zusammenfassen. Es kommt auch drauf an, wie man seinen „Touralltag“ gestaltet, wir sind nicht eine Band, welche sich ständig volllaufen lässt, Party macht und nicht schläft und somit die Gesundheit strapaziert (obwohl wir trotzdem krank werden, was einfach unfair ist, haha). Und dann ist eigentlich so eine Tour nicht sooo anstrengend wie man sich das vorstellt. Ich meine, wir reisen rum, sehen was von der Welt und dürfen dazu noch ein Stündchen auf der Bühne stehen und Spaß haben. Das ist doch toll!




Wenn man im Zusammenhang mit Metal von der Schweiz spricht, fallen natürlich sofort die Namen CELTIC FROST und SAMAEL. Haben euch diese beiden Truppen in irgendeiner Form dazu inspiriert, selbst zu den Instrumenten zu greifen? Wer sind eure musikalischen Vorbilder?


Nein, überhaupt nicht. Musikalische Vorbilder haben wir nicht wirklich als Band ELUVEITIE sondern eher als Individuen. Merlin's Vorbild ist z.B. ELOY CASAGRANDE, Kay's ist ROGER PATTERSON, Meri's REGINA CARTER und mein persönliches Vorbild wäre BJÖRK. Ich habe jetzt mal einfach alle gefragt, welche sich gerade hier im Raum befinden, hehe.



Willst du der Earshot-Leserschaft noch etwas mit auf den Weg geben?


Danke fürs Lesen, ich hoffe es war einigermaßen unterhaltsam!

eluveitie.ch

Autor: Mike

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Beitrag vom 23.03.2012
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