Interview mit BLIND GUARDIAN - Weiterentwicklung mit einem Blick zurück


Hallo Hansi, wie geht es dir?


Gut, aber ich sitz hier grad in meinem Büro im Keller und mir frieren die Füße. Also muss ich dann nach dem Interview gleich hoch gehen und mir Schuhe anziehen.




Haha, dann spann ich dich nicht zu lange auf die Folter und lege gleich los.
Was tut sich gerade bei euch, ich denke mal, ihr seid schon fleißig an den Tour Vorbereitungen?



Ja, wir sind schon ziemlich fleißig daran. Es geht ja eigentlich immer dann schon in den letzten Zügen der Albumproduktion los. Dann muss man Plakate usw. vorbereiten, die Leute zusammenbekommen mit denen man touren will, die Vorbands auswählen etc… Das hört dann eigentlich gar nicht mehr auf. Aber jetzt haben wir schon die ersten Proben hinter uns gebracht. Haben mehr oder weniger festgesetzt, welche Songs im Hauptset sein werden und welche wir stellenweise wechseln. Machen jetzt aber auch noch Promo für die Tour und das Album und versuchen alles so in die Gänge zu bekommen, damit wir uns 12-15 Monate zu Hause um nichts mehr kümmern müssen, weil das ist so etwa die Zeit, die wir unterwegs sein werden und nicht mehr so viel zu Hause tun können.



„At The Edge Of Time“ ist bereits erschienen und die Presse-Kritiken sind ja durchwegs gut geworden. Wie sehen die ersten Fan-Reaktionen aus?


Die Fan-Reaktionen sind genauso gut. Die Presse- und Fan-Reatkionen laufen selten auseinander. Klar gibt es immer mal ein paar Nörgler, aber wir haben jetzt 85-90% positive Presse-Reviews bekommen, genauso ist es auch bei den Fans. Da sind sehr wenige, die unzufrieden sind. Und ich muss auch sagen, dass ich noch keine Kritik gelesen habe, die substanziell mich zum Nachdenken gebracht hätte.



Das Album ist meiner Meinung nach viel abwechslungsreicher geworden als die letzten. Wie würdest du “At The Edge Of Time” stilistisch einordnen?


Ich würde es als Weiterentwicklung einordnen oder definieren, mit einem Blick zurück. Das heißt, anders als auf den letzten beiden Alben haben wir es geschafft, die Qualitäten der Vorgängeralben wieder ein bisschen besser einzuarbeiten. Was ich nie gemeint habe und ich auch überhaupt nicht so sehe ist, dass es ein „back to the roots“–Album sein sollte. Es gibt wie gesagt Elemente, die wir wieder aufgegriffen haben und wir sind froh, dass diese so stark ausgearbeitet werden konnten. Es war für mich auch nie ein Versuch gewesen, und das hör ich auch nicht heraus, wie in den meinetwegen Mittneunzigern zu klingen.




Gab es im Vorhinein einen bestimmten Plan oder eine Richtung, die ihr euch vorgegeben habt. Und wie lief das Songwriting generell?


Ne, es gab in dem Sinne keinen Plan. Wir hatten ja vorneweg für das Computerspiel „Sacred“ eine Nummer schreiben müssen. Das musste ziemlich schnell gehen. Das ist dann auch der Titel „Sacred“ geworden. Er hat auch gepasst und war sehr erfolgreich. Wir haben den dann für das Album weiter bearbeitet und umgeschrieben. Der ist unter dem Titel „Sacred Worlds“ dann als Opener auf dem Album gelandet. War natürlich ein sehr guter Startschuss. Danach haben wir im Grunde genommen festgelegt, dass wir wieder mehr Akustik-Gitarren einbauen wollen und diese wie in den „Nightfall..“ und „Imaginations…“ –Alben wieder etwas weiter nach vorne zu stellen. Das hat sich dann wieder etwas wärmer angefühlt, denn auf „A Twist In The Myth“ und „A Night At The Opera“ haben wir verstärkt auf cleane Chorus-Gitarren zurückgegriffen. Die sind auch auf dem neuen Album hörbar, wenn auch nicht mehr so verstärkt. Das war eigentlich so die einzige wirkliche Absprache, die wir hatten.

Danach haben wir das Songwriting betrieben. Das entwickelte sich sehr gut und ging sehr schnell, so dass wir nach ca. 10 Monaten, was für uns schon eine relativ kurze Zeit ist, so sieben bis acht Nummern stehen hatten. Von da an hatten wir uns dann konzeptionell unterhalten, um einfach besser Brücken zu schlagen zwischen den einzelnen Songs. Auch was die Songreihenfolge betrifft. Es waren also eigentlich nur „Riding Into Obsession“ und „Control The Divine“, die nach diesem Konzept entstanden sind, der Rest war wirklich „frei Schnauze“.




Man hört rundherum, dass dies das beste Album seit “Nightfall…” sein soll. Wie erklärst du dir, dass die letzten beiden Alben manch Fan nicht gefielen?


Weil wir auf Richtungssuche waren. Wir haben uns mit den beiden Alben viele neue musikalische Territorien erspielt und das Spielfeld für kreatives Arrangement extrem erweitert. Wir können mit den Elementen, die wir da entwickelt haben, also diese Mehrstimmigkeit und das Einweben von modernen Elementen etc., nun besser umgehen und wissen, wie wir das einzusetzen haben. „A Voice In The Dark“ ist ein schönes Beispiel. Der Refrain und auch viele andere Parts sind vom Grundprinzip her, so wie vieles von den „A Night At The Opera“ oder „A Twist In The Myth“, aber man kann den Song dennoch als Old-School BLIND GUARDIAN Power Metal Song durchgehen lassen. Der wird auch bei Fans der alten Alben sehr gut ankommen, ohne dass es ins Gewicht fällt, dass wir diese Elemente eingebaut haben. So ist es sichergestellt, dass wir keine Kopien der alten Werke verkaufen wollen, sondern mit Innovationen und neuen Ideen um die Ecke kommen.

Von daher waren diese beiden Platten Findungsphase für uns und in solchen Findungsphasen macht man halt eben auch Fehler, gerade was die Arrangements angeht oder die Logik oder besser gesagt, die Eingängigkeit, die bei dem Hörer zu dem Empfinden führt, dass manches unlogisch wirkt.






Hast du spezielle Lieblinge auf dem Album?


Meiner wäre „Wheel Of Time“. Das ist für mich die orchestralste und stärkste Nummer. Gleichzeitig auch ein Ausblick was vielleicht als orchestrales Album preisgeben wird, wobei da die Band noch ein Stück in den Hintergrund rutschen wird. Das ist die Nummer, die so ein bisschen zwischen „Time Stands Still (At The Iron Hill)“ und „And Then There Was Silence“ steht, was für mich die anderen beiden BLIND GUARDIAN Lieblingssongs wären.



Wie war die Arbeit mit dem Orchester?


Sehr zeitaufwändig, sehr interessant und sehr bestätigend. Man hat gesehen, dass den Leuten, das was wir da komponiert haben, Spaß gemacht hat. Die haben die Qualität auch zu schätzen gewusst. Was ich wiederum zu schätzen wusste, war die Professionalität mit der sie diese Sachen gespielt haben, aber auch die lebendige Freude, die transportiert worden ist, die wir uns dann in der schönen Konzerthalle in Prag zu Gemüte führen konnten. Das war schon ein einmaliges Erlebnis.



Wie sieht es textlich aus. Ihr habt euch dahingehend wieder auf eure Wurzeln bezogen. Kannst du ein paar Lyriks erörtern? Und was sind heute deine Einflüsse?


Wir sind aufgrund der Musik in diesen phantastischen Regionen zu Hause, was daran liegt, dass die Musik meiner Ansicht nach schon Geschichten erzählt, auch wenn man keine Lyriks hätte, merkt man schon, dass da dieses Narrative (Erzählerische) vordergrundig ist und es viel um Emotionen geht, die aber auch spielerischer und theatralischer sind. Von daher passt diese Verbindung zu den phantastischen Romanen auch ganz gut.

Inspiration habe ich dieses Mal unter anderem von George RR Martin „Songs Of Ice And Fire“, aber auch Peter S. Beagle mit „The Inkeeper’s Song“ oder Robert Jordan „Wheel Of Time“ und dann aussenstehend aus dem historischen her John Milton, der mir als Inspiration für „Control The Divine“ und „Curse My Name“ gedient hat.





Inwieweit begleitet euch textlich, sowie musikalisch noch der “Herr der Ringe”?


Teilweise sehr stark. Gerade weil wir gerade am Orchester Projekt gedanklich sehr stark in diese Richtung arbeiten. Von daher ist da dann auch ein starker musikalischer Wink, der im Grunde genommen ein Thema verlangt, das in die Richtung geht. Ansonsten, im normalen Songwriting läuft es eher darauf hinaus, dass wir einfach freestyle-mäßig Songs schreiben und mit zunehmender Entwicklung dann Themen herauskristallisieren, die dann nicht unbedingt Tolkien relevant sein müssen.



Es hieß damals, dass ihr einen musikalischen Beitrag zur Verfilmung leisten solltet, was ist schief gelaufen?


Es kam so zustande, dass wir bevor der Film gedreht wurde, auf diversen Homepages Votings gewonnen haben. Da wurde abgestimmt welche Bands oder welche Musik denn am besten zu den Filmen passen könnten. Woraufhin wir damals das Produktionsteam von Regisseur Peter Jackson kontaktierten. Zu dem Zeitpunkt war aber schon ziemlich alles in trockenen Tüchern, die Filme waren gedreht, die Musik schon komponiert. Man war aber bereit auf uns zu warten und sich anzuhören, was wir da anbieten wollten. Leider ist es dazu nie gekommen, weil ich zu seiner Zeit mit DEMONS & WIZARDS auf Tour war und ich konnte meine Demoaufnahmen nicht machen, so dass wir kein vorspielbares Material hatten. Aber es war sehr unwahrscheinlich, dass wir da rein gekommen wären, deswegen waren wir da auch nicht wirklich traurig.



Wäre nun die Verfilmung von “Der Hobbit” nicht eine neue Chance?


Man soll nie, nie sagen. Aber in der Regel sind solche Sachen im Vorhinein schon entschieden. Da ist es zu dem Zeitpunkt, wenn der Film announced wird, schon zu spät. Da müsste schon die Produktionsfirma ein totales Interesse haben BLIND GUARDIAN unterzubringen. Aber im Mainstream Bereich gibt es da schon andere Labels und Verlage, die man da natürlich lieber unterbringen würde. Bei Tolkien Themen ist es natürlich naheliegend große Epic Score Musik zu nehmen, wie es auch in den ersten drei Filmen der Fall war und so wird es bei „Der Hobbit“ auch wieder sein. Aber wenn uns jemand fragen sollte, würde wir sicher nicht nein sagen.



Was mich auf Anhieb begeisterte, war die Aufmachung und vor allem die Artworks in der Special Edition. Wer hat die gemacht und inwieweit hattet ihr selbst darauf Einfluss?


Wir haben 100%igen Einfluss. Wir sind auch diejenigen, die Instruktionen geben und Visionen entwickeln müssen, was wir überhaupt haben wollen. Das Coverartwork selbst erstellt hat Felipe Machado, ein kolumbianischer Künstler, der unter anderem schon Artworks für AYREON oder RHAPSODY OF FIRE entworfen hat. Er ist ein großer BG Fan und hat sich sehr schnell in das Thema eingearbeitet. Felipe entwickelte in einer relativ kurzen Zeit mit den bruchstückhaften Stichworten, die ich ihm gegeben hatte dann ein sehr schönes Frontcover Motiv und kam danach selbst auf die Idee ein Booklet zu machen, in dem jeder Song ein eigenes Artwork erhalten sollte. Die Themen sind dann mit mir abgesprochen worden. Beziehungsweise habe ich versucht spezielle Situationen, die mich vielleicht veranlasst haben, die Thematik überhaupt aufzugreifen, in Worte zu fassen.




Könntest du mir vielleicht noch bei einem kleinen Mysterium weiterhelfen. Warum hat BLIND GUARDIAN, seitdem du den Bass abgegeben hast, keinen fixen Bassisten mehr?


Wir sind eigentlich sehr zufrieden mit dem Vierer-Package. Wir brauchen während der Songwritingphase keinen Bass bzw. können diesen emulieren. Mir wär es wirklich zu anstrengend sowohl im Studio als auch live den Bass zu spielen. Wir sind auch sehr glücklich mit Oliver Holzwarth, der ist wiederum glücklich, weil er ja noch andere Bands, Aktivitäten usw. hat. Wir haben da ein sehr gutes und sehr starkes Arrangement getroffen, über das weder wir noch Oliver unglücklich sind. Für mich selbst wäre es wirklich kompliziert, wenn ich da eine fünfte Person auf einmal einbinden müsste in die kompletten Aktivitäten, wie Promo, Marketing, Entscheidung und so weiter. Da ist mir dieser Verbund von vier Personen doch wesentlich lieber.



Gibt es eigentlich noch Kontakt zu eurem ehemaligen Drummer Thomen und was hältst du eigentlich. von SAVAGE CIRCUS?


Ich fand die SAVAGE CIRCUS auf der Thomen mitgespielt hatte gut, war mir aber nicht innovativ genug, die Ausrichtung war mir zu einseitig, aber die Songs waren auf jeden Fall gut. Keine Frage. Die Berechtigung für dieses ganze Projekt basierte eigentlich auf Thomen. Nachdem Thomas aber die Band verlassen hat, fand ich, hätte man die Stilistik von BLIND GUARDIAN wegbewegen müssen. Aber ich bin mir sicher, dass den Jungs gar nichts anderes übrig bleibt. Das ist auch das, was sicher passieren wird, dass man auf dem dritten Album schon deutlich anders klingen wird. Von daher an SAVAGE CIRCUS meine besten Wünsche, aber für mich nicht die Offenbarung.

Zu Thomen haben wir ein sehr starkes Verhältnis, nach wie vor. Wir sind ja nicht als Feinde auseinander gegangen. Er hat damals die Band aus diversen Gründen verlassen. Unter anderem war da, dass er nach Spanien gezogen ist. Mittlerweile lebt er aber wieder in Krefeld. Wir haben ein gutes Verhältnis und treffen uns ab und zu, wir sprechen über bestimmte Dinge, aber als Drummer für BG steht er nicht mehr zur Verfügung. Wir spielen aber auch gar nicht mit dem Gedanken. Wir sind mit dem Setup wie es jetzt ist zufrieden.




Zu guter Letzt interessiert mich, ob den das Projekt DEMONS & WIZARDS ein weiteres Kapitel bekommen könnte.


Davon will ich stark ausgehen. Jon (Schaffer – ICED EARTH) und ich haben ein paar Mal über ein drittes Album gesprochen, haben aber immer das Problem gehabt, dass uns die Zeit einen Strich durch die Rechnung gemacht hat. Das sollte sich innerhalb der nächsten zwei Jahre ändern und zumindest mal Hand an neue Songs legen, so dass man, ich hoffe mal, Ende 2012, Anfang 2013 ein neues DEMONS & WIZARDS Album zu hören bekommt.




Ich danke dir für deine Zeit und wünsche euch eine schöne und erfolgreiche Tour!


Ja, danke. Ich freue mich, dass das Album auch bei euch so gut ankommt, mir hat das Interview viel Spaß gemacht. Und natürlich werden wir es auf der Tour und in Wien auch krachen lassen.



www.blind-guardian.com

Autor: maxomer

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Beitrag vom 01.09.2010
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