Interview mit THE DILLINGER ESCAPE PLAN - die Welt ist kleiner geworden


Earshot sprach vor dem Konzert mit Gitarrist Ben Weinman über die Sprache Musik und das Fehlen von Überraschungen. Dabei geht es der Band nicht darum zu schockieren, sondern ihre Musik ist eine Aufforderung härter zu arbeiten.


Dieses Mal tretet ihr im Chelsea auf. Wir waren alle etwas verwundert, warum ihr nicht in einem größeren Club spielt: ist das so eine Art „Back-to-the-Roots“?


Ben: Es stimmt schon, wir wollten alle Shows dieser Tour in kleineren Clubs spielen. Aber das ist jetzt nicht so außergewöhnlich, zu Hause machen wir das ja auch. Vor ein paar Monaten spielten wir zum Beispiel im Keller eines Bekannten, da war es um einiges kleiner als hier. Wenn wir wirklich zu unseren Wurzeln gehen würden, dann dürften wir nur in Kellern spielen.


Und hat die Größe einer Bühne eine Auswirkung auf eure Bühnenshow? Schließlich kommt es ja öfter mal vor, dass ihr euch gegenseitig auch auf großen Bühnen Platzwunden verpasst. Wird es auf einer kleinen Bühne gefährlicher für euch, oder nehmt ihr euch ein bisschen zurück?


Ehrlich gesagt ist es ein bisschen spannender auf kleinen Bühnen, weil das Konzert natürlich intensiver wird. Aber klar, die Wahrscheinlichkeit, dass wir uns gegenseitig verletzen, steigt auf einer kleineren Bühne.


So eine Art besonderer Nervenkitzel?


Nein, ich persönlich fühle auf jeder Bühne das gleiche. Für mich ändert sich nichts, wenn 10, 100 oder 1000 Leute im Publikum stehen.


In einem Interview hast du einmal angesprochen, dass euer Publikum sehr vielseitig und heterogen ist. Trifft dies deiner Meinung nach auch zu, wenn ihr allein unterwegs seid?


Ich bin mir sicher, dass die Fans, die zur Show kommen und ein Ticket gekauft haben, nicht engstirnig sind. Also wir vertrauen darauf, dass unsere Fans selbst draufkommen, was sie hören wollen.


Letztes Jahr habt ihr gemeinsam mit SEPULTURA in der Arena gespielt. Im Publikum waren natürlich eure Fans und SEPULTURA-Fans. Ich könnte mir vorstellen, dass ihr die Metal-Heads ganz schön geschockt habt. Schließlich hat SEPULTURA im Vergleich zu euch ganz schön alt und langweilig gewirkt: geht es euch – gerade in so einem Line-Up – nicht auch darum ein bisschen zu schocken?


Naja, Bands wie SEPULTURA waren ja früher ziemlich hart und auch ältere Zuhörer sind schon einiges gewöhnt. Als wir angefangen haben Musik zu machen, wollten wir auch beispielsweise die alten Barkeeper, die schon alles gehört haben schocken.
Aber vor allem wollten wir das Gefühl wieder zurückbringen, das sie früher bei harten Bands gehabt haben – also die Unvorhersehbarkeit und Überraschung, die es früher im Metal oder generell bei harter Musik gegeben hat. Denn jetzt passiert doch bei den meisten Bands nichts Neues. Gerade der Mainstream ist doch ziemlich fad und vorhersehbar geworden.
Bands wie SEPULTURA hatten einen großen Einfluss auf uns. Aber wir sind mit dieser Art Musik aufgewachsen – gerade deshalb ist sie vermutlich so wenig überraschend. Und darum wollten wir eine Band gründen, um gegen diesen Stillstand anzuspielen.



Es geht dir also um die Überraschung, nicht ums schocken?


Wir wollen unser Publikum nicht schocken, aber weniger vorhersehbar sein, als eine Durchschnittsband. Denn gerade in Zeiten des Internets und Youtube und dergleichen, gibt es keine Überraschungen mehr. Die Welt ist kleiner geworden und ich bin mir sicher, dass Leute auf der ganzen Welt unser heutiges Konzert sehen werden. Jeder weiß ganz genau, welche Songs wir spielen, wie lange wir spielen usw. Also jeder weiß im Grunde alles, bevor er noch auf ein einziges Konzert geht. Das ist doch sehr enttäuschend.

Ich mag moderne Technologie, sie kann ein wunderbares Werkzeug für Undergroundbands sein, auf der anderen Seite ruiniert diese Technik aber Inspiration und die unvorhersehbare Natur der Kunst.

In meiner Jugend haben mich vor allem die Überraschungen bei harter Musik gereizt – hoffentlich können wir dieses Gefühl, nicht zu wissen was passiert, weitergeben. Schließlich wissen wir auch nicht immer was passiert.
Also unser Ziel ist es unvorhersehbar zu sein, nicht unbedingt zu schocken aber wir sind vielleicht ein bisschen gefährlich und unangenehm.



Wenn ich eure Musik höre, kann ich fühlen worum es geht. Aber ich bin mir nicht sicher, ob ich eure Musik verstehe. Oder ob es da überhaupt etwas gibt, das man verstehen kann.


Ich versteh’ meine Musik (lacht).


Ich stelle die Frage vielleicht so: wie funktioniert bei euch das Songwriting? Es muss doch einen Plan geben?


Wahrscheinlich läuft das Songwriting gar nicht so anders ab, als bei anderen Bands. Sagen wir so: es gibt eine Menge Bands, die nicht vorhaben ihr Publikum herauszufordern. Deren Ziel es ist, ihre Musik leicht und angenehm zu machen und deren Songs man sofort mitsingen kann, wenn sie im Radio laufen. COLDPLAY wäre da ein Beispiel und ich finde die Musik auch angenehm. Ein paar dieser Elemente haben wir ja auch in unsere Musik aufgenommen. Wir wollen es dem Publikum aber nicht so einfach machen: man muss an der Musik arbeiten. Wie ich vorhin sagte, gab es diesen Punkt wo Musik nicht mehr schockiert hat, also nicht mehr extrem war. Meiner Meinung nach: wenn etwas einfach ist, dann ist es auch nicht wichtig. So ist das Leben.
Hier haken wir ein: denn wir wollen, dass die Leute ein bisschen mehr arbeiten müssen. Einer unser größten Fans hat mir mal erzählt: am Anfang hat er unsere Musik gehasst, aber er hat weiter gehört, hat sie immer noch gehasst – bis einmal der Punkt kam, an dem er unsere Musik liebte. Und das ist für mich irgendwie das coolste.



Aber dieser Punkt, geht es da um ein Verstehen von Abläufen oder von Strukturen, oder ist das Gewöhnung? Als ihr am Donauinselfest gespielt habt, stand vor uns jemand von einer österreichischen Hardcore-Band, der – irgendwie doch passend – zusammenfassend meinte „cooler Sound, aber es wäre leiwand wenn ihr eine Nummer gemeinsam spielen würdet.“


Für ihn klingt das vielleicht nicht so, als würden wir gemeinsam spielen. Aber für uns hat alles, was wir spielen einen Zweck. Also wenn er das nicht versteht, dann ist das sein Problem. Und es ist sicher nicht meine Schuld.


Aber die eine "Lesart", oder einen einfachen Trick gibt es nicht?


Einen Trick gibt es nicht, aber es ist natürlich eine Art von Sprache. Und um das zu verstehen muss man die Sprache sprechen. Um zu sprechen muss man Phrasen bilden können und die auch verstehen. Es ist wie mit allem im Leben.
Ich bin nicht gut in Fremdsprachen und ich habe auch überhaupt kein Gefühl dafür. Diese Fähigkeit habe ich einfach nicht. Aber Musik, Rhythmen und Schemata ist eine Art von Sprache, die ich verstehe. Und wenn Leute diese Sprache lernen, dann können sie nicht nur die Musik verstehen, sondern könnten auch Musik schreiben wie wir das tun. Es dauert nur lange und braucht viel Arbeit. Aber manche Leute mögen das ja, wenn Musik auch unangenehm ist und kein Easy-Listening. Wenn sie nicht wissen, wann welcher Part kommt oder wie und wann der Song endet.



Sprechen wir ein bisschen über euer neues Album „Option Paralysis“, das ja bald erscheinen wird. Es gibt online bereits ein paar Teaser und es wirkt so, als würdet ihr mehr mit Kontrasten arbeiten. Was kommt da auf uns zu?


Naja, diese Teaser sagen eigentlich nicht viel aus. Aber das Album ist definitiv etwas dynamischer. Es gibt zum Beispiel diesen 7 Minuten-Song: ein epischer Song mit Klavier – ziemlich progressiv. Es ist kein typischer DILLINGER-Song; der Pianist von David Bowie hat ihn eingespielt.
Auf unseren Platten sind immer sehr unterschiedlich Dinge. Aber der schwierige Part ist, dass die Songs in einem größeren Kontext funktionieren. Ich denke, dass jemand, der unsere Musik bis jetzt nicht mochte auf dem neuen Album Teile findet, die er mag – wenn er oder sie Zeit reinsteckt.



Ist das Album wieder gitarrenlastiger? Beim Schreiben von „Ire Works“ hattest du ja mit einer Schulterverletzung zu kämpfen und deshalb mehr vom Piano ausgehend geschrieben.


Nein. Am neuen Album ist eigentlich mehr Klavier als auf Ire Works. Die Platte ist sehr experimentell aber weniger elektronisch: Wenn das Sinn macht.


In eurem Myspace-Blog sprecht ihr von 2010, als dem besten Jahr für DILLINGER ESCAPE PLAN. Was wird noch passieren?


Also, es gibt das neue Album. Es ist zugleich das erste Album bei einem neuen Label. Wir werden viel touren und bei großen Festivals in den USA spielen. Zum Beispiel beim Coachella. Da es ziemlich schwierig ist für Bands wie uns da reinzukommen, wird das sicher spannend. Bands wie wir kommen da normalerweise nicht rein. Das ist schon eine Ehre für uns.


Also wird 2010 das Jahr des großen Durchbruchs?


Nein. So etwas gibt es für uns nicht. Wir denken auch nicht an Dinge wie den Durchbruch. Wir sind keine Band, die sich darum kümmert, was um uns herum passiert. Wir hatten auch nie Sprünge in unserer Bandbiographie und wir machen das jetzt seit 13 Jahren. Wir sind auf keinem Major-Label, es gibt keinen großen Markt für unseren Sound und wir werden nicht im Radio gespielt.
Aber wir gehen immer weiter, auch wenn Scheiße um uns herum passiert: Bands sind heute groß und morgen vergessen, oder neue Genres entstehen und verschwinden, wie Nu Metal usw. Wir machen unser Ding ganz langsam und gehen immer weiter. Und es gibt Menschen, die uns auf dem Weg begleiten.



Du hast mal gesagt europäische Fans sind loyaler als US-Fans.

Ja, ich glaub schon.


Und wie sieht es mit den österreichischen Fans aus? Was fällt dir da auf, ihr habt ja schon öfter hier gespielt.


Viele würden österreichische mit deutschen Fans vergleichen. In diesem Vergleich würde ich sagen, die österreichischen Fans waren immer ein bisschen offener für unseren Sound. In Deutschland brauchte man eine eindeutige Genreeinteilung. Festivalplaner wussten zum Beispiel einfach nicht, wo sie uns planen sollten. Österreich wirkte da vielleicht ein bisschen kreativer und künstlerischer, ein bisschen aufgeschlossener und es gibt anscheinend eine bessere Underground-Community. Ja es gefällt uns hier.


Aber wir sind wohl nicht dafür bekannt auf Konzerten wirklich abzugehen, oder?


Wie ich am Anfang sagte: mit dem Internet wird es auf der ganzen Welt gleicher. Als wir das erste Mal nach Europa kamen, gab es von Land zu Land relativ starke Unterschiede. Und für uns war das eine ganz eigene Erfahrung. Schließlich kann man in New Jersey drei Stunden fahren und ist immer noch in New Jersey und das ist nur ein Bundesstaat. Hier ist man eine Stunde unterwegs und es ist total anders. Aber es wird immer ähnlicher zu den USA. England ist ja schon ziemlich ähnlich.
Aber wir sind auch keine Band, die ihr Publikum dazu ermuntern möchte irgendetwas zu tun. Ihr macht euer Ding, wir machen unseres. Das österreichische Publikum ist jedoch ziemlich aufnahmebereit, so mein Eindruck.



Gibt es für dieses Jahr noch eine weitere Europatour. Die aktuelle Tour ist ja ziemlich kurz?


Ja jetzt sind es nur ein paar Termine. Wir werden noch mal kommen, aber Termine stehen noch nicht fest. Vermutlich im Herbst.


Vielen Dank fürs Gespräch.


www.myspace.com/dillingerescapeplan

Autor: doubleRR

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Beitrag vom 15.02.2010
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