Interview mit SCOTT KELLY - Fear and Loathing unplugged


Scott Kelly, Gitarrist und Sänger der Sludge Post-Metal Legende NEUROSIS, tourt derzeit mit dem Material seines zweiten Solo-Albums „The Wake“ (2008) durch Europa. Anlässlich des Konzerts am 25. Jänner 2010 im WUK, in Wien ergab sich die Gelegenheit eines Interviews mit diesem Ausnahmemusiker.





Wie läuft denn die Tour bisher? Ist sicher ungewohnt für Dich, alleine auf der Bühne zu stehen, hast du doch sonst Deine Bandkumpanen dabei.


Ja, war ein komisches Gefühl am Anfang, aber ich gewöhne mich langsam daran. Ich hab ja schon ein paar Shows hinter mir und es beginnt, sich normal anzufühlen. Es muss sich halt alles entwickeln und ich lerne unheimlich viel dazu durch diese neue Situation, sehe die Dinge aus einer neuen Perspektive.


Bist Du das erste Mal alleine unterwegs?


Solo-Auftritte hatte ich seit 2003 immer wieder mal und vor 18 Monaten habe ich zum Aufwärmen eine kurze Tour durch Deutschland gemacht, ich denke es waren etwa sechs Gigs, aber das jetzt ist schon eine andere Dimension. Es sind 17 Auftritte in verschiedenen Ländern, verschiedenes Publikum, verschiedene Eindrücke, es wird sicher interessant werden.


In Deinen Songs offenbarst du ja doch sehr viel von dir selbst, deinem Seelenleben, gibst dich nachdenklich und verletzlich. Inwiefern unterscheidet sich die Arbeit an deinen Solosongs von deiner Arbeit mit Neurosis?


Über die Jahre hindurch habe ich mich selbst viel mehr angenommen und bin offener geworden. Ich stehe zu meinen Gefühlen, meinem Leben. Das war nicht immer so. Ich war lange Zeit sehr beherrscht und verschlossen, vielleicht habe ich mich selbst unterdrückt. Es ist eine Last, sich nicht öffnen zu können, ein Mühlstein, der einen zurückhält.

Man wird sehen, inwiefern sich diese Öffnung auch auf zukünftige NEUROSIS-Scheiben auswirken wird, wobei ja auch „Origin“, der letzte Song auf „Given To The Rising“, in diese Richtung geht. Man wird sehen. Grundsätzlich bin ich allerdings ein Typ, der doch ein gewisses Maß an Druck, Anspannung und Angst braucht, um richtig zu funktionieren, ganz werde und will ich das trotz aller Innenschau und Erkenntnisse nicht ablegen, denn das Ergebnis sind schmerzhafte, eruptive, heilende NEUROSIS-Songs.



Du bist also gar nicht froh, wenn die Dinge mal glatt laufen.


Nein! (lacht). Kurz nachdem mein erstes Soloalbum (2001, "Spirit Bound Flesh") herauskam, habe ich mit dem Trinken und dem Drogenmissbrauch aufgehört. Seit diesem Zeitpunkt läuft für mich ein langsamer aber kontinuierlicher Prozess des Sich-Selbst-Akzeptierens.

Klar bin ich immer noch dieselbe Person, die ich immer war, bin exzessiv, gehe gerne bis ans Limit. Wenn du so eine Persönlichkeit hast, kannst du leicht abhängig werden, wie ich es damals war. Aber ich habe gelernt, anders mit mir umzugehen.

Und auch meine Musik, gerade das Solo-Zeug, kanalisiert diese sehr starken Gefühle. Deshalb ist es mir schon wichtig, dass die Leute den Songs, die fast therapeutisch sind für mich, die entsprechende Aufmerksamkeit entgegenbringen. Ich bitte das Publikum oft, nicht zu quatschen, sondern zuzuhören. Es ist nun mal kein Metal-Konzert. Wer sich nicht konzentrieren kann und nicht den nötigen Ernst aufbringt, sollte meine Konzerte dann wohl eher nicht besuchen. Ich wünsche mir, dass das Publikum ein Teil meines Auftritts, meiner Songs wird und sich entsprechend darauf einlässt.





Hast du auch schon neue Songs geschrieben? "The Wake" ist ja doch schon wieder fast zwei Jahre alt.


Ja! Wahrscheinlich kommt heuer die neue Scheibe heraus.


Wird dein Sohn Damon auch wieder mitwerkeln? (Anm. Scott Kelly hat einen bereits 20-jähren Sohn, der ihn auf "The Wake" bei „Remember Me“ am Bass unterstützt hat).


Steht noch nicht fest, aber wahrscheinlich schon. Dass er bei „Remember Me“ mitgespielt hat, hat ihm sehr viel bedeutet, ich habe den Song über seine Mutter geschrieben. Wenn ich einen Bass für einen Song brauche, werde ich definitiv wieder mit Damon zusammenarbeiten.


Nun zu SHRINEBUILDER. Wie kam denn die Zusammenarbeit mit Wino und den anderen zustande?


Erst gab es mich und Al (Cisnero, SLEEP und OM) und eine Menge Songmaterial, aber bis wir dann schließlich eine Band wurden, hat es noch gedauert. Wino und ich zum Beispiel kannten uns überhaupt nicht. Winos Kommentar zu meiner Person war: „Ach, dieser Typ von NEUROSIS, spielt der Gitarre?“

Na jedenfalls haben Wino und ich dann angefangen zu telefonieren und bald war klar: Wir sind Zwillinge, bei der Geburt getrennt! (lacht). Schon lustig, dass wir uns davor nie über den Weg gelaufen sind, wir hatten beide in etwa zur gleichen Zeit unsere schwärzesten Tage und überhaupt lief vieles gleich in unseren Leben. Es ist unglaublich, wie schnell wir uns angefreundet haben und wie gut wir zusammenarbeiten können. 2008 kam dann noch Dale (Crover, MELVINS) dazu und dann ging es richtig los, wobei bei uns allerdings erschwerend dazu kommt, dass wir alle sehr weit auseinander wohnen. Dale wohnt in der Gegend um Los Angeles, ich wohne 700 Meile nördlich von ihm in Oregon, Wino ist in Baltimore. Aber man wird erfinderisch, wir haben uns Riffs gemailt, ich habe Al besucht, wir haben was aufgenommen, haben es den anderen geschickt usw.

Wir haben auch schon live gespielt - fünf Shows waren es bisher und es war großartig.



Kommt ihr denn auch nach Europa, sprich Wien?


Ja! Im April sind wir auch in Wien, wurde heute bestätigt (Anm. 25. April 2010, Arena).




Bitte erzähl uns doch etwas über dein Label, Neurot Recordings (www.neurotrecordings.com). Es ist sicher sehr befriedigend, wenn man ein eigenes Label hat, schalten und walten kann, wie man will, Talente fördern kann usw..


Ja klar. Es ist zwar eine Menge Arbeit und manchmal hinken wir der Technologie ein bisschen hinter her, aber es ist das Beste, um sich zu verwirklichen, wobei das Auffinden und Fördern neuer Bands den meisten Spaß macht.

Meine Favoriten momentan sind US CHRISTMAS(www.myspace.com/uschristmas). Die Jungs haben mir ihr Demo geschickt und unter den 30 Demos, die ich an diesem Tag vor mir liegen hatte, ist mir ihres aus welchem Grund auch immer gleich ins Auge gesprungen und ich habe hineingehört. Es hat sich ausgezahlt, denn die Jungs sind unglaublich talentiert, haben ein erstaunliches kreatives Potential, sie können ganz groß werden. Sie kommen aus einem winzigen Dorf in North Carolina, wo man solche Bands normalerweise nicht vermutet, wirklich erstaunliche Musiker. Sind jedenfalls meine derzeitigen Favoriten, sie sind etwas Besonderes.



Und abschließend: Wie geht es denn weiter mit NEUROSIS? Gibt es schon neue Songs?


Wir haben tonnenweise Ideen und Material, aber ernst wird es frühestens 2011 werden. Wir werden wohl den Rest des heurigen Jahres mit dem Feinschliff und Aufnehmen verbringen.


Kann man ungefähr sagen, in welche Richtung das neue Material gehen wird? Eher wie euer letzter Output „Given To The Rising“ (2007)?


Es ist immer schwer zu sagen, wie sich die Songs dann letztendlich entwickeln. Ähnlichkeiten könnte es schon geben.


Für eure Verhältnisse ist „Given To The Rising“ ja recht melodisch. Ich muss gestehen, da ich erst mit dem Album davor, „A Sun That Never Sets“, angefangen habe, NEUROSIS zu hören, davor war mir das Material zu sperrig. Aber ab diesem Album haben mich die Songs tief berührt.


Danke, es freut mich immer, wenn Fans mir sagen, dass unsere Musik sie berührt.

Deshalb machen wir Musik. Es geht um Gefühle, um etwas zu bewegen, um Menschen zu erreichen und etwas zu hinterlassen.

Aber um auf das neue Material zurückzukommen –ich kann wirklich noch nicht sagen, wie es im Endeffekt rüberkommen wird. Es gibt jedenfalls noch eine Menge zu tun, technisch und visionär.



www.myspace.com/bloodtime

Autor: Bettina

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Beitrag vom 10.02.2010
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