Interview mit FUCKED UP - Warum sie sich auf die Musik konzentrieren und nicht darauf, Freunde zu sein


Warum sie besser arbeiten können, wenn sie sich nicht sehen und sich Damian Abraham, aka Pink Eyes, auf der Bühne auszieht. Vor ihrem Konzert in der Arena sprach Earshot mit dem Sänger von FUCKED UP.

Earshot: Vor eurem letzten Konzert in Österreich, wurdet ihr in einer Kritik der österreichischen Tageszeitung „Der Standard“ als die „Retter des Hardcores“ bezeichnet. Was sagst du dazu, habt ihr den Hardcore gerettet?


Damian: Naja, ich glaube dem Hardcore würde es auch gut gehen, wenn es uns nicht geben würde. Es ist natürlich schmeichelhaft, wenn das jemand sagt; ich glaube aber nicht, dass wir den Hardcore retten – es gibt vielleicht sogar mehr Leute, die glauben wir zerstören den Hardcore, indem wir Hardcore mehr Mainstream machen.


Und wohl auch, weil ihr auf euren Platten sehr experimentierfreudig seid – stoßen vielleicht gerade diese Experimente auf Abneigung?


FUCKED UP ist eine Hardcore Band und ich habe uns eigentlich immer als Hardcore Band verstanden. Aber wir sind auch seit 8 oder 9 Jahren eine Band und wenn ich ehrlich zu uns und den Menschen sein will, die uns zuhören, dann muss ich auch andere Sachen ausprobieren. Denn den einen Song immer und immer wieder zu machen, wäre sicherlich falsch und unehrlich. Deshalb machen wir auch experimentelleres Zeug: manche mögen das, andere finden es scheiße. Aber es ist total ok, wenn Leute unsere Musik hassen. Es gibt auch eine Menge „beliebter“ Bands, die ich hasse.
Das ist ja das Gute daran in einer Band zu sein: Ich bin mir sicher, dass wir dasselbe machen würden, auch wenn niemand uns mögen würde. Und wir machen unser Ding, solange wir Spaß daran haben.
Nochmals zu den experimentelleren Sachen: Ich glaube manche hassen es und halten uns für anmaßende Arschlöcher. Manche glauben, wir experimentieren nur, um Platten zu verkaufen. Aber glaub’ mir, wenn wir wüssten, wie man Platten verkauft, würden wir das tun (lacht)… Ich mach nur Witze. Aber nein, wir lassen zu, was eben passiert, was aus uns raus will. Also wir machen uns keine großen Gedanken darüber und wir sagen auch sicher nicht, dass die nächste Platte schräger werden muaa, als die davor.



Wenn ihr mit verschiedenen Instrumenten und einer Vielzahl an Gitarrenspuren experimentiert, stellt sich die Frage: Könnt ihr das auch live umsetzen?


Es kommt darauf an – es ist ein bisschen so, als wären wir zwei unterschiedliche Bands. Eine Studio- und eine Liveband, aber wir wollten nie den Studiosound nachmachen. Wenn jemand unseren Plattensound mag, soll er sich eben die Platten anhören. Aber live nehmen wir die Musik von der Platte und fügen dem Ganzen eine eigene, eine visuelle Energie dazu. Wenn du im Studio sitzt, machst du dir nur Gedanken über den Sound. Aber live gibt es eben noch die Show, die die Sache spannend macht.
Also, es ist unmöglich den Studiosound zu 100 Prozent nachzumachen, aber wir machen hoffentlich etwas, das unterhaltsam ist. Und das ist im Grunde das Ziel.



Gibt es Punkte, die eine unterhaltsame Show charakterisieren? Also Dinge von denen du sagen würdest, die braucht es, um eine wirklich gute Show zu machen?


Nein, eigentlich nicht. Ich finde es auch sinnlos, eine Show zu analysieren. Denn so würde man die Spannung rausnehmen. Unsere Show ist so spontan wie möglich; also möchte ich gar nicht, dass der heutige Abend gleich abläuft wie gestern, oder morgen. Natürlich hoffe ich, dass es den Leuten gefällt; gestern Abend hatten wir eine gute Show.
Aber wir machen sicher nicht jeden Abend das gleiche. Das wäre zum einen sehr langweilig für uns, aber zum anderen auch unehrlich unserem Publikum gegenüber, denn eigentlich geht es ja darum, dass jeder das Gefühl hat, es war seine Zeit und sein Geld wert. Wir bieten also etwas Unwiederholbares – morgen würde das Konzert vermutlich ganz anders aussehen.

Manchmal geht das schief. Ich kann sofort drei Konzerte aufzählen, wo es gar nicht funktioniert hat: einmal in Barcelona, einmal in Pittsburgh, und ein Konzert in Washington D.C. Es tut mir zwar leid, dass es bei diesen drei Konzerten nicht funktioniert hat; auf der anderen Seite finde ich es gut, denn es war zumindest eine ehrliche Erfahrung. Es war scheiße, aber es war ehrlich scheiße.
Ich habe einmal SUM41 live gesehen, und merkte, dass die ein Script hatten. Alle Dinge, die sie zwischen den Songs gesagt haben, standen auf diesem Script. Ich dachte: Die armen Kids, die soviel Geld gezahlt haben um das Konzert zu sehen und dann hat die Band nicht einmal soviel Respekt, eine ehrliche Show zu liefern. Das ganze ist nur mehr ein Schauspiel; also so etwas würde ich nie machen.



Es gibt ja auch Bands mit Scripts für ihre Bühnen-Moves.


Ja, genau. Aber das Publikum verdient mehr als das. Und das ist der Grund, warum ich Punk und aggressive Musik mag. Denn das ist ehrliche Musik, im Idealfall auch von ehrlichen Leuten. Niemand versucht ein unsterbliche Rockstars zu werden, wie KISS oder so. Es sind ganz normale Leute, die Musik machen.
Und, klar soll es unterhaltsam sein – ich sage nicht eine Show muss langweilig sein – aber ich hasse so Dinge wie Scripts, wo dann steht: bei dem oder dem Song: Sprung vom Schlagzeug und berühre mit den Fingern die Zehen oder so ein Zeug. Ich lasse passieren, was eben passiert.



Vielleicht noch eine kurze Frage an FUCKED UP, die Studioband. Ihr bringt relativ viele 7 Inch Platten heraus – das ist doch sehr Oldschool. Funktioniert das heute noch?


Ganz klar ist das Oldschool, aber das gehört zu unserer musikalischen Sozialisation. Wir sind beeinflusst von Bands wie Poison Idea oder den Melvins, die tonnenweise 7 Inch Vinyls herausgebracht haben.
Noch dazu waren wir, als wir mit der Band anfingen, alle begeisterte Plattensammler; ich habe noch immer eine schreckliche Plattensucht. [Beim Konzert erzählt Pink Eyes, er habe letztes Monat 600$ für Platten ausgegeben – soviel zur Sucht]
Aber die 7 Inch ist auch das perfekte Medium für Popmusik – Platz für 2 Songs zu je 3 Minuten. Auch Punk und harte Musik ist eben Pop, auch wenn es Core ist.



Zahlt sich das auch finanziell aus?


Nein! Man macht nicht viel Geld mit 7 Inch-Platten. Also wir müssen jetzt nicht Geld reinstecken, aber wir kriegen auch keines raus. Aus finanzieller Sicht wäre es sicher besser LPs zu machen, deswegen hassen Labels auch 7 Inch-Platten. Aber wir finden 7 Inch irgendwie cooler, es ist irgendwie perfekt.


Ihr arbeitet auf Platte oft mit anderen Musikern zusammen. Warum?


Ja, wir arbeiten viel mit Gästen. Sagen wir mal so - ich erkenne meine Limits als Sänger. Und manchmal höre ich eine Song und denke, es wäre großartig jemanden zu haben, der so oder so klingt. Also aus praktischen Gründen arbeiten wir viel mit Freunden zusammen, wenn wir etwas nicht selbst machen können.
Es gibt aber auch, sagen wir, ästhetischen Gründe. Wir mögen alle Rap und die Idee viele Gäste auf einer Platte zu haben.
Noch dazu macht es Spaß im Studio. Wir können uns in der Band nicht so richtig leiden und dann ist es ganz gut, einen Puffer zu haben, der die festgefahrenen Positionen ein bisschen aufbricht und der zwischen uns steht, wenn es bei uns wieder einmal kracht. Also Gäste machen die Arbeit im Studio ein bisschen angenehmer.



Du sagtest gerade, du hast eine Vorstellung, oder den Wunsch wie ein Song und/oder die Vocals klingen sollen. Wie läuft bei euch der Songwritingprozess ab?


Jonah (Schlagzeug), Mike und Josh (beide Gitarre), arbeiten meist an Nummern, und bauen den Song auf. Dann geben sie uns allen ein Demo und jeder schreibt seinen Teil dazu. Auf diese Weise kann sich ein Song natürlich verändern. (Lacht) Jonah schrieb den Song „Black Albino Bones“ und er wollte, dass der Song nach den STOOGES klingt. Als er dann den fertigen Song hörte, der sehr poppig ausgefallen ist, war er ziemlich aufgebracht.

Es ist eine kollaborative Arbeit, wir arbeiten gemeinsam an einem Song. Aber es ist auch eine sehr individuelle Sache: Denn man bekommt einen Song, fügt etwas hinzu und gibt ihn wieder ab. Natürlich ist man dann nicht immer zufrieden mit dem was rauskommt. Und es dauert auch eine Weile – bei unserem letzten Album brauchten wir sehr lange fürs Aufnehmen. Wir waren nicht die ganze Zeit im Studio. Wir waren im Studio, dann zwei Wochen auf Tour, gingen zurück ins Studio und haben wieder viel verändert.

Es hat Spaß gemacht und es war bei Weitem nicht so intensiv wie beim Album davor. Das war damals richtig hart, denn wir haben 2 Wochen im Studio ständig gestritten – diesmal haben wir uns Zeit gelassen und haben schrittweise weitergemacht. Das war angenehmer, hat aber mit Sicherheit auch unsere Art des Songwritings verändert.
Wir waren weit weg voneinander, deshalb hat es mehr Spaß gemacht die Platte aufzunehmen – bei der letzten haben wir wirklich viel gestritten. Wir haben uns mehr Zeit gelassen und im Ganzen betrachtet, haben wir vermutlich weniger Zeit wirklich im Studio verbracht, als bei der ersten Platte. Damals waren wir zwei Wochen lang jeden Tag 16 Stunden im Studio. Dieses Mal waren wir vielleicht 5 oder 6 Stunden im Studio, danach sind wir heimgefahren, oder wieder auf Tour.



Und seid ihr mit dem Endergebnis dann alle in gleicher Weise zufrieden?


Nein. Ich bin mir sicher, dass nicht jeder in der Band mit meinen Lyrics einverstanden ist. Also ich schreibe nichts rassistisches oder homophobes, aber meine Sicht auf die Welt ist eben eine andere wie die meiner Bandkollegen. Aber es gibt natürlich auch Songs, die ich nicht mag, wie etwa „Royal Swan“. Ich glaube der Song funktioniert auf der Platte, aber ich würde ihn mir nicht anhören. Wir sind sechs Menschen mit sechs sehr unterschiedlichen Musikgeschmäckern, und sechs verschiedenen Weltsichten. Wenn wir in allem einer Meinung wären, wäre das ja sehr langweilig.


Und vorhersehbar.


Ja, sehr vorhersehbar. Bei manchen Bands funktioniert das, wenn sie alle die gleichen Dinge mögen. Wir gehören da nicht dazu! Ganz am Anfang von FUCKED UP sind wir gut miteinander zurechtgekommen, aber jetzt ist das gar nicht mehr so. Im Grunde heißt das nur, dass wir uns mehr auf die Musik und die Band konzentrieren können und weniger darauf Freunde zu sein.


Auf YouTube habe ich mir ein TV-Interview mit dir angesehen, bei dem du ein Obama 08-T-Shirt anhattest. Seid ihr eine politische Band? Oder welchen Stellenwert hat Politik für euch?


Das T-Shirt habe ich getragen, weil es ein Interview bei FOX News war, also bei einer rechten Fernsehanstalt, die Obama hassen. Und ich war auch ganz froh, dass er gewonnen hat, obwohl er nichts ändern wird. Obama ist schließlich aus dem gleichen politischen System.
Aber ich würde sagen, wir sind keine politische Band, wir sind politische Menschen. Und singen über Dinge, die vielleicht politisch sind. Ich möchte aber niemandem sagen, wie er sein Leben führen soll. Zum Beispiel wenn ich nach Österreich komme: Ich habe keine Ahnung vom politischen System in Österreich, ich weiß nicht welche Parteien in der Regierung sind. Das einzige, an das ich mich erinnere ist die rechte Regierung im Jahr 2000. Da kann ich doch nicht auf die Bühne gehen und sagen, wie ihr euer Leben führen sollt. Da würde ich mir wie ein riesen Arsch vorkommen.
Und dann kommt noch dazu, dass Menschen und Bands einen ständig enttäuschen. Ich erinnere mich an so viele Bands, auch Hardcore-Bands, von denen ich dachte: Die sind so politisch und treten auf der Bühne gegen Sexismus auf – nach der Show versuchen sie backstage Groupies aufzureißen. Also Bands enttäuschen einen immer – nicht so, dass ich so ein Typ wäre, das bin ich ganz und gar nicht – aber ich will nicht durch irgendwelche Aktionen FUCKED UP verraten. Deshalb werden wir nicht direkt politisch, aber wir machen verschiedene Charity-Projekte.



Da du Sexismus angesprochen hast - in Wien kam es bei der Besetzung des Audimax zu einer Aktion, die etwas Aufregung verursacht hat. Ein Typ hat sich auf der Bühne ausgezogen, was von Feministinnen scharf als sexueller Übergriff kritisiert wurde. Nun ziehst du dich auf der Bühne regelmäßig aus, verstehst du die feministische Kritik? Und ist das wirklich ein sexueller Übergriff?


Also ich verstehe total, dass es bei dem Typen als Übergriff aufgefasst werden könnte. Und in einem politischen Kontext ist es vermutlich unangebracht, sich auf der Bühne auszuziehen – ich würde mich bei politischen Veranstaltungen nicht ausziehen. Aber bei einem FUCKED UP-Konzert ist das eine völlig andere Situation. Hier ist es Teil der Show, es wird heiß und ich lasse die Energie fließen.
Noch vor ein paar Jahren war das für mich unvorstellbar. Ich habe früher sogar beim Sex mein T-Shirt angelassen, weil ich mich für meinen Körper geschämt habe. Das Ausziehen auf der Bühne war für mich ein großer Akt der Befreiung.
Aber klar, ich verstehe auch, wenn das jemand als Machoding interpretiert. Für mich ist es das gar nicht, und ich würde auch nicht wollen, dass es so verstanden wird. Ich hoffe eine FUCKED UP Show ist aufregend, witzig, fesselnd…



Vielleicht etwas erotisch?


Ja, ein bisschen erotisch. Also es gibt ein erotisches Element, aber vielleicht eher ein Spiel mit der Erotik. Es geht darum mit der Idee zu spielen, dass ein konventioneller „Rockstar“ richtig maskulin sein muss, sein Shirt auszieht und dann seine Muskeln zur Schau stellt. Ich bin der Anti-Rockstar: kahlköpfig, dick und ziehe trotzdem mein Shirt aus. Ich spiele in gewisser Weise mit dieser Idee des maskulinen Rockstars.
Auf der anderen Seite könnte ich total verstehen, wenn sich jemand angegriffen fühlen würde, theoretisch, aber hoffentlich würden die Leute mit mir reden und ich könnte es erklären. Ich finde, dass ist wirklich eine spannende Frage, weil ich mir – als ich damit angefangen habe – auch Gedanken über die Angebrachtheit meines Auftretens und des Ausziehens gemacht habe.



Was sind die Pläne für die nähere Zukunft?


Wir machen im Februar eine kleine US-Tour und werden auch ein paar Konzerte in Kanada spielen. Aber in Kanada touren ist ziemlich hart. Die Autofahrten zwischen den Konzerten dauern nicht wie hier fünf Stunden, sondern 22. Es ist überallhin verdammt weit zu fahren.
Dann arbeiten wir noch an einer Split mit NOFX, einer mit KING KHAN & THE BBQ SHOW. Wir werden einen Track mit GZA vom WU TANG KLAN aufnehmen und machen eine Platte bei SubPop und eine neuen LP bei Matador.
Wir haben ja zuerst über den Unterschied Live- bzw. Studioband gesprochen- jetzt freue ich mich bereits wieder, die Studioband zu werden. Man kann da ein bisschen durchatmen und hat wieder Zeit zum Nachdenken und Lyrics zu schreiben.



Vielen Dank fürs Interview.



www.myspace.com/epicsinminutes

Autor: doubleRR

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Beitrag vom 09.12.2009
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