Interview mit THE (INTERNATIONAL) NOISE CONSPIRACY - Warum Kapitalismus ein Verbrechen ist


Vor ihrem Konzert sprach Earshot mit Dennis Lyxzén, dem Sänger von THE (INTERNATIONAL) NOISE CONSPIRACY. Im Gespräche erfahren wir, warum Kapitalismus noch immer ein Verbrechen ist und warum Dennis trotzdem lieber Musik macht, als eine Urban Guerilla zu gründen.



Seit Jahren lautet euer Slogan „Capitalism is organized crime“. Ist er in Zeiten der Finanzkrise aktueller denn je?


Ja, ich denke schon. Als ich das Ganze mitbekommen habe, also die Finanzkrise und den Kollaps an den Börsen, bin ich zu Hause gesessen und habe mir gedacht: ich hab’s euch ja gesagt. Die letzten 20 Jahre rede ich darüber!
Die Finanzkrise hat gezeigt dass Kapitalismus nicht ein System für Menschen ist - Kapitalismus erhält lediglich den Kapitalismus. Das einzige Ziel dieses Systems ist es noch mehr Kapitalismus zu schaffen und ihn stärker zu machen. Ich denke jetzt zeigt sich, dass Kapitalismus keine Moral und kein Schuldbewusstsein hat. Kapitalismus nimmt keine Rücksicht auf Menschen – er nimmt nur Rücksicht auf sich selbst. Die jetzige Krise zeigt somit nur wie er funktioniert.
Aber es ist irgendwie traurig. Banken und Manager haben das Geld verspekuliert und wenn sie Geld verlieren, müssen wir dafür bezahlen, wenn sie Geld erwirtschaften bekommen wir das nicht zuspüren. Also Verstaatlichung der Verluste und Privatisierung der Gewinne – das ist im Grunde abstoßend. Aber ja, ich denke der Slogan „Capitalism is organized crime“ ist nach wie vor gültig.



Ist es jetzt an der Zeit für einen Wechsel, für eine Revolution?


Wenn man sich die Welt genau ansieht, dann muss man zu dem Schluss kommen, es ist nicht die richtige Richtung, in die wir uns bewegen – Die Welt geht eindeutig in die falsche Richtung. Somit brauchen wir heute noch dringender als noch vor ein paar Jahren einen politischen Wechsel, einen radikalen politischen Wechsel. Ja, ich denke jetzt ist der Zeitpunkt!
Aber trotzdem ist es nicht ganz so leicht, denn meine Generation, also alle, die in den 70ern geboren wurden, haben schon lange aufgegeben. Alle die ich kenne, die in den 90ern politisch aktiv waren, haben aufgegeben. Und die, die in den 80ern geboren wurden, interessieren sich so und so nicht für Politik. Sie konzentrieren sich auf Karriere und darauf, berühmt zu werden. Somit sind es sicher nicht die besten Umstände für einen radikalen Wechsel und für irgendeine Art der Veränderung. Wobei es so viele Dinge gäbe, die uns zu einem Wechsel lenken sollten, ich denke dabei an die Finanzkrise, oder an den War on Terror, der ständig weiterläuft und der natürlich auch mit Terrorismus, so wie den Anschlägen in Indien letzte Woche, zusammenhängt.



Barack Obama hat in seinem Wahlkampf immer wieder vom „Change“ gesprochen. Kann er etwas ändern, was denkst du?


Nein, nicht wirklich. Naja, wenn man jetzt alle Radikalität beiseite lässt, würde ich sagen, sein Wahlsieg ist interessant. Ich denke, dass Schweden keinen schwarzen Premierminister wählen würde – dabei sind gerade die USA ein sehr konservatives Land; deshalb ist es interessant. All meine Freunde in den USA, viele davon sind sehr radikale Menschen – grassroots-radikal – haben Obama gewählt. Er hat ja auch viele gute Ideen um die Probleme in den USA zu lösen, aber was den Gesamtzusammenhang, also das „Big Picture“ betrifft: … wir haben diese riesige Krankheit und anstatt die Krankheit zu bekämpfen, bekämpft man die Symptome, und genau das passiert durch Obama. Es ist nach wie vor das gleiche System – nichts hat sich in Wirklichkeit verändert. Es hat sich nichts verändert seit Bush Präsident ist und ganz ehrlich: der letzte demokratische Präsident Clinton, war furchtbar. Er startete Kriege im Kosovo und in Bosnien, er sanktionierte den Irak, was mehr Menschen getötet hat, als in den letzten acht Jahren starben. Also ich weiß nicht, was unter Obama passieren wird. Ich denke nicht, dass es der Wechsel ist, aber es ist interessant – vielleicht kommt etwas Positives dabei heraus.
Uns ist aufgefallen, als wir vor 2 Wochen in den Staaten waren, dass die Leute mehr Interesse an der Politik bekommen haben. Und Obama hat ja auch gesagt, dass Partizipation etwas ändern kann. Ich bin sehr skeptisch aber interessiert.

Aber ganz ehrlich wenn man älter wird, ändern sich manche Sichtweisen. Manche Themen sind für mich noch sehr Schwarz und Weiß, das ist richtig, das ist falsch. Aber gleichzeitig sieht man, dass die extreme Linke nicht immer die beste Position hat. Es ist schon cool … ich war sehr jung und sehr sehr wütend, jetzt bin ich etwas älter und noch immer wütend. Aber meine Prioritäten haben sich geändert, ich fokussiere mehr auf wichtige Themen. Zum Beispiel haben wir in Schweden jetzt eine rechte Regierung, und es gibt so Leute, die nicht wählen gehen. Ja für diese Leute aus der Mittelschicht macht es vielleicht keinen Unterschied, ob wir eine rechte oder eine sozialdemokratische Regierung haben. Für Arbeitslose, für Gewerkschaftsmitglieder oder für allein erziehende Mütter macht es einen großen Unterschied.
Manchmal muss man natürlich auch radikal sein. Wenn ich über Politik spreche, bin ich immer zweigeteilt. Auf der einen Seite der sehr radikale NOISE CONSPIRACY-Typ, nach dem Motto: demokratischer Parlamentarismus interessiert mich nicht, mich interessierten Arbeiterkommunen. Dann gibt es aber auch den realistischen Typ: Ok, wir haben jetzt eine rechte Regierung und die Gewerkschaft entledigt sich der Arbeitslosen. Die Regierung zwingt Arbeitslose für eine neue Stelle umzuziehen und das macht einen sehr großen Unterschied für normale Menschen. Deshalb ist es natürlich auch wichtig zu wählen. Also dem Radikalen auf der Bühne und dem Typen der hier sitzt und redet.



Du stellst oft die Frage, wie weit wir alle gehen würden. Nun die Gegenfrage: Wie weit würdest du gehen? Demnächst wird ja Christian Klar von der RAF entlassen, hättest du dich damals beteiligt?


Ich bin ziemlich sicher: wenn ich in den 60ern oder 70ern der gleiche gewesen wäre, der ich jetzt bin, wäre es für mich sehr wahrscheinlich gewesen, in den Untergrund zu gehen. Aber 2008 funktioniert es nicht mehr auf diese Art. Als die RAF angefangen hat, haben sie in unterschiedlichen Szenen viel Rückhalt gehabt. Es gab damals Umstände, die so etwas möglich gemacht haben. Heute ist das sicher nicht mehr auf diese Art möglich.
Wir haben auf unserem neuen Album einen Song zu diesem Thema: „Arm yourself“. Dabei geht’s genau um diese Frage, wie weit jeder von uns gehen wird. Aber es ist natürlich schwierig diese Frage zu beantworten. Ich habe mir ein kleines Haus am Land gekauft und habe ein Auto und bin plötzlich in diesen Dingen, die auch eine Art illusorische Sicherheit geben, gefangen. Diese Dinge aufzugeben fällt sicher nicht leicht. Allerdings weiß ich für mich, wenn es wirklich darauf ankommt, diese Dinge für eine bessere Welt für alle aufzugeben, dann würde ich das machen. Denn mir ist bewusst, dass ich privilegiert bin: ich kann Musik machen, das bringt mir zwar nicht viel Geld, aber ich hab genug um mir dieses kleine Haus zu kaufen. Es war sehr billig, aber trotzdem, es ist mein Haus.
Es ist wirklich sehr schwierig zu sagen, wie weit man gehen würde. Für mich gibt es im Moment aber keinen Grund in den Untergrund zu gehen und eine Urban Guerilla zu gründen.



Es fällt auf, dass es in Schweden viel musikalischen Protest von Punks und Linken gibt. Nun steht doch Schweden für Wohlfahrtsstaat und Reichtum, woher kommt dieses Protestpotenzial?


Schweden ist ein ziemlich reiches Land und bis vor kurzem hat es ein soziales Sicherheitsnetz gegeben. Aber Schweden ist auch kulturell und emotional ein „middle of the road“ Land. Also: werde nicht zu glücklich, aber auch nicht zu traurig. Es ist ein sehr sicheres Land aber auch ein sehr feiges und zaghaftes Land. Ich mag die Dänen, all meine dänischen Freunde sind gerade im Gefängnis. Als das Ungdomshuset abgerissen wurde, haben sie sich mit der Polizei geprügelt – das würde in Schweden nicht passieren. Die Menschen in Schweden sind feig. Ich glaube das ist einer der Gründe warum es so viele Underground Punkbands und Linke Gruppierungen gibt, schließlich ist dies ja auch eine Form des Protests gegen deine Eltern und gegen die gesamte feige Gesellschaft. Ich wuchs auf in einer Familie, wo meine Eltern mir nicht sagten, wen sie gewählt haben. Für sie war Politik eine rein private Sache. Aber „what the hell“! Es ist wichtig darüber zu reden!
Natürlich ist es auch die Internationalität der Punkrockszene, deshalb denkst du über internationale Probleme nach. Und auf der anderen Seite ist auch ein Zeichen von Privilegierung, wenn man die Zeit und die Möglichkeit hat andere Dinge zu sehen und zu analysieren. Dann kann man auch eine Band gründen und darüber singen. (lacht)



Sprechen wir jetzt mal über eure Musik. Ihr habt nun bereits euer zweites Album mit Rick Rubin produziert. Stimmt es, dass er auch beim aktuellen Album „The Cross of my Calling“ euren Songwriting-Prozess verändert hat?


Früher bestanden unsere Songs meist aus ein paar coolen Riffs, als wir dann zu Rick gekommen sind, hat er uns eine Akustikgitarre in die Hand gedrückt und gesagt: spielt den Song auf dieser Gitarre. Ein guter Song soll auch so gut klingen – die meisten unserer Songs haben auf einer Akustikgitarre nicht wirklich toll geklungen. Wenn man eine Band hat und immer laut probt, dann klingt alles gut. Erst beim Aufnehmen merkst du dann, dass der eine Teil überhaupt keinen Sinn macht, weil er nur gut klingt, wenn er laut gespielt wird. Rick hat uns gezeigt, wie man unnötige Teile weglassen kann und wie man Songs macht, die eben auch auf einer Akustikgitarre cool klingen. Er lehrte uns einen Song als das anzusehen was er sein sollte.
Den Songwritingprozess haben wir eigentlich nicht verändert. Im Vergleich zu anderen Bands gibt es bei uns nicht den einen Songwriter, der alle Songs schreibt und dann im Proberaum sagt: du spielst das so und du so. Wir haben von Anfang an gejammt. Es ist ein cooler Zugang – ja jetzt hat sich dieser Songwritingaspekt etwas verändert – aber wir machen es sonst so wie immer. Wir treffen uns und spielen; ich schreib mir dann immer ein paar Ideen für Lyrics auf, wir spielen ein bisschen weiter, dann geh ich nach Hause und schreibe die Lyrics fertig. Den nächsten Tag oder eine Woche später treffen wir uns wieder und spielen weiter – so entsteht bei uns ein Song. Das unterscheidet uns von anderen Bands.



Das klingt nach einem langen Prozess.


Es ist ein sehr langer Prozess. Wir leben ja nicht einmal in derselben Stadt, sondern verteilt in ganz Schweden. Wir treffen uns für ein Wochenende und ein paar Songs und manchmal kommt nichts Brauchbares dabei heraus. Wir spielen ein Wochenende lang und alles klingt scheiße – dann gehen wir wieder heim und treffen uns das nächste Mal für andere 5 Ideen. Und wir proben weiter. Es ist vielleicht ein eigenartiger Weg Songs zu schreiben.


Habt ihr den Anspruch - ein Song muss mit Akustikgitarre gut klingen - beim neuen Album beibehalten?


Ja klar, mit Ausnahme des letzten Songs. Dieser ist 9 Minuten lang, das klingt nicht so gut auf einer Akustischen, aber ja klar.
Als wir das erste mal mit Rick aufgenommen haben, sagten wir: so, dass sind unsere Songs, machen wir die. Dieses Mal hatten wir ein besseres Gefühl, was aufs Album soll. Wir wollten eine alte Platte, vom Sound und von der Art, wie es komponiert ist. Intros und ein langes Outro, also dieses Mal kamen wir mit vielen Ideen, wie es klingen sollte. Deswegen auch ein neun Minuten Song: wir wollten etwas Dramatisches am Ende, so ein richtiges Outro.



Auf eurem neuen Album finden wir ein Orgelsolo, von dem viele behaupten, es klingt nach THE DOORS. Ich hätte es nicht erwartet, aber beeinflussen sie euch?


Ich liebe THE DOORS, das ist eine meiner Lieblingsbands. Aber wir haben nie nach ihnen geklungen und wir hatten nie Songs, die irgendwie an sie erinnert haben. Aber dieser Teil des Songs war immer der doorsy-jammige Part, auch als wir ihn geschrieben haben. Es hat ein bisschen den DOORS-Vibe gehabt – und dann, als wir in die USA fuhren und im selben Studio waren, in dem auch sie aufgenommen haben, dachten wir uns: den doorsy Part machen wir ein bisschen mehr wie die DOORS. Es ist jetzt nicht so prominent auf der Platte, aber wir wollten zeigen: wir mögen THE DOORS.


Eine kurze Frage noch zum Cover eures neuen Albums: Seid ihr vielleicht doch Freimaurer? Oder hat die Pyramide mit dem Auge eine andere Bedeutung für euch?


Wir stahlen das Freimaurersymbol ein bisschen, aber die Platte hat auch ein bisschen was Okkultes, sozusagen ein religiöses Thema. Wir wollten etwas Psychedelisches machen – das ist die ganze Idee dahinter. Also wir wollten nichts absichtlich von den Freimaurern übernehmen. Denn ganz ehrlich, die Freimaurer sind ja nicht so großartig.
Aber das alles sehende Auge gibt es ja in vielen Kulturen und als Symbol auch schon sehr lange.



Kennst du eigentlich das Buch „Illuminati“ von Robert Shea?


Nein habe ich nicht gelesen.


Am Ende des dritten Teils kämpfen die Illuminaten gegen Zombie-Nazis, um sie an der Übernahme der Weltherrschaft zu hindern.


Klingt interessant, das muss ich vielleicht lesen.


Aber ein bisschen könnt ihr euch sicher mit diesem Kampf der Illuminaten identifizieren, oder?


Der ganze Symbolismus passt vielleicht ganz gut, weil wir uns als geheime Gesellschaft sehen. Wir sind ja auch eine CONSPIRACY, das passt irgendwie.

Habt ihr schon konkrete Pläne, was ihr nach dieser Tour machen wollt?


Eigentlich nur noch mehr touren. Wir machen eine Skandinavien-Tour im Februar, touren in den USA und Australien im März und sind im Mai wieder in Skandinavien. Im Sommer folgt eine Tour durch ganz Europa.


Werdet ihr auch auf Festivals spielen?


Wir werden auf so vielen Festivals wie möglich spielen. Wir haben jetzt lange nicht in Europa gespielt, deswegen bin ich schon sehr gespannt wieder auf Tour zu sein. Es ist cool, denn wir alle werden ja älter und haben normale Leben außerhalb der Band. Wir sind jetzt kürzer unterwegs als früher – früher waren wir 200 Tage im Jahr auf Tour – jetzt hat jeder eine Freundin zu Hause und ein „normales Leben“. Ich spiele ja auch noch in zwei anderen Bands, habe mein eigenes Label und einen Club. Wir probieren halt alles unterzubringen; aber es ist cool, ich liebe diese Band. Es ist der beste Job. Ich wurde mal gefragt was ich mache: und ich sagte: entweder bin ich immer auf Urlaub oder ich arbeite immer, ich weiß es noch nicht. Wenn du Musik machst hast du keine Stechuhr, ich mache was ich mache und so sind die Tage eben immer voll, aber es ist cool.
Mit dem Drummer von REFUSED haben wir auch wieder eine Hardcore-Band gestartet AC4, nächstes Jahr kommt auf meinem Label unser Album raus. Also ich bin beschäftigt.



www.myspace.com/internationalnoiseconspiracy

Autor: doubleRR

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Beitrag vom 12.12.2008
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