Interview mit CATTLE DECAPITATION - Die erotisierende Wirkung von totem Fleisch


CATTLE DECAPITATION vorzustellen hieße zwar nicht unbedingt, Eulen nach Athen zu tragen, doch haben sie sich im Laufe der Zeit durchaus zu einem heißen Geheimtipp entwickelt, welcher sich spätestens mit "Karma Bloody Karma" in ein dickes, fettes Rufzeichen verwandeln dürfte. Und auch Europa, so viel sei schon gesagt, soll hiervon sein Fett abkriegen, im wahrsten Sinne des Wortes...




“Karma Bloddy Karma” war nicht nur in euren Augen ein großer Schritt nach vorn, im Vergleich zu “Humanure” und insbesondere “To Serve Man” sprach die Fachpresse von einem Quantumsprung, sowohl anbetrachts Songwriting als auch Produktion. Auf der anderen Seite präsentiert ihr euch – zumindest für das Auge – subtiler und etwas massentauglicher als zuvor. War dieser immense Unterschied zwischen dem Ausloten sämtlicher Extreme in musikalischer Hinsicht und erstem – optischen – Eindruck beabsichtigt?


Travis: Ich denke nicht, dass wir heute subtiler dastehen – heute ist anscheinend jeder schon so desensibilisiert, dass du dich - sobald nicht wirklich etwas absolut Geschmackloses, auffällig Derbes vom Cover prangt – auf sicherem Boden befindest. Wenn man sich die Texte durchliest, so haben wir dieses Mal zweifelsohne ebenso wie auch musikalisch sämtliche Extreme ausgelotet, sie rufen den weltweiten Genozid der menschlichen Bevölkerung herbei. Nicht wirklich subtil oder gar ein Kavaliersakt, nicht? Wir fordern Revange und akzeptieren die zu vollbringenden Verluste – zugegeben, dieses Mal ist die graphische Umsetzung etwas künstlerischer geworden, ein explizit blutiges Cover, das jene Idee umzusetzen weiß, wäre wohl aber schmalzig geworden, das ist nicht mein Stil.


Wie lässt sich das Artwork – Kali hantierend mit Messern und Äxten – interpretieren? Ist Reinkarnation, das Wiederbeleben von totem Fleisch ein Thema, mit dem du dich beschäftigst? Du selbst hast in einem Interview zu Protokoll gegeben, dass du „Karma Bloody Karma“ nicht als „religiöses“ Album gesehen haben willst – wenn wir allerdings ehrlich sind, so ist und war die Religion immer ein großer Bestandteil selbst der modernsten Gesellschaft und demzufolge auch Teil von uns selbst, von unserem Verhalten.


Travis: Die Texte und das Cover haben dennoch keine religiöse Bedeutung – nur die Idee, dass alles wieder auf einen zurückfällt. Ich denke, die meisten Menschen können diesen Prozess nachvollziehen und glauben auch daran. Wenn dir irgendwer permanent auf den Kopf scheißt – er muss in Betracht ziehen, dass irgendwann er es ist, der sich die Scheiße aus dem Gesicht wischen darf. Nenn es Kali, Shiva, Vishnu – egal, wie viele Arme nun eine Gottheit hat, es geht um die Idee dahinter, nämlich dass der Mensch auf der Erde trampelt als wäre er der Herrscher über Getier, Boden und Pflanzen – und irgendwann einmal wird die Erde einen ihrer mächtigen Arme ausfahren und dem Menschen zeigen, wo der Hammer hängt.


Man kann die Kuh quasi als euer Maskottchen bezeichnen, ähnlich wie IRON MAIDEN ihren Eddie quer durch die Discographie schleifen findet man jenes Nutztier nicht nur in graphischer Umsetzung, sondern auch im Bandnamen selbst wieder. Gibt es eine besondere Verbindung oder Bedeutung, dass gerade die Kuh erwählt wurde?


Travis: Nein, die Kuh steht quasi für eine Vielzahl an Gegebenheiten, ist bedeutungstragendes Element mehr denn als Tier zu sehen. Die Kuh ist zweifelsohne eines der meistgebrauchten – und ich verwende jenes Wort hier absichtlich – Tiere in der Nahrungskette des Menschen und demzufolge Märtyrer für unsere Botschaft, ein Symbolträger.


Wenn man im Gespräch auf das neueste Album einer Band zu sprechen kommt, ist es unweigerlich “das Beste” und all zu oft auch “die extremste Veröffentlichung seit langem“. Die Vielschichtigkeit, die hohe Dichte und Konzentration, der Druck und das Pendeln zwischen immenser Geschwindigkeit und zerstörerischem Doomgewitter machen „Karma Bloody Karma“ jedoch zu einem Mordsding, dass durchaus beweist, dass zumindest hier die absolute Wahrheit gesprochen wird. Wie siehst du – rückblickend – die Entwicklung der Band?


Travis: Ich sehe “Karma Bloody Karma” als jene Veröffentlichung an, die wir seit Anbeginn kreieren wollten. Dennoch hatte ich meine Zweifel, insbesondere in der Phase, in der wir an den Stücken arbeiteten, zweifelte, ob Text und Musik ihren Zweck erfüllen würden, die Idee umzusetzen wissen. Ich bin ein absoluter Pessimist, ich gebe es zu – jedoch nachdem die Stücke aufgenommen waren, war selbst ich überzeugt. Billy Anderson hat erstmals umzusetzen gewusst, was wir tatsächlich wollten – man merkt, er hat bereits mit einer Vielzahl an Künstlern gearbeitet, die wir respektieren, und sich somit auf einer ähnlichen Wellenlinie wie wir befindet.


Auch Joey Karam von THE LOCUST und John Wiese von SUNNO hatten diesmal Anteil an der tadellosen Umsetzung...


Travis: Korrekt – als alte Freunde kennen wir beide sehr gut und wussten somit, dass sie dieses Mal bestens in die Atmosphäre der einzelnen Stücke passen würden, quasi als brückenbauende Elemente. Joey war als Gastsänger für „Total Gore“ engagiert, zudem er auch ein paar Synthieklänge beitrug und auch im Zuge des Outros „Of Human Pride & Flatulence“ kommt sein Stimmungszeug zum Einsatz. John war für eine Vielzahl an Einlagen verantwortlich und für das Intro. Großartige Jungs, großartige Arbeit.


Bands, die sich in Ernsthaftigkeit mit “heißen” Themen wie Politik, Religion oder eben der Nahrung auseinandersetzen haben und hatten sich immer und überall zu entschuldigen und rechtfertigen – egal ob wir jetzt CARCASS und NAPALM DEATH oder auch neuere Bands wie HEAVEN SHALL BURN nennen, es ging hier nie ausschließlich um die Musik, sondern auch um das Dahinter, während sich „szenetypische“ Bands, welche über spritzende Gedärme und Fellatio mit totem Fleisch singen, nur selten innerhalb der Szene rechtfertigen mussten. Geht es euch – oder dir im Speziellen – auf die Nerven, wenn Interviewfragen oder Fananfragen mit „Du, als Vegetarier…“ beginnen und alles, das ihr tut, auf die vegane/vegetarische „Szene“ bezogen wird?


Travis: Das einzig Störende daran ist die Tatsache, dass sehr viele Presseleute und Fans sich ausschließlich darauf beziehen, was am Ende darauf hinausläuft, dass wir als Werbeband gesehen werden – das ist zwar durchaus zum Teil korrekt, aber eben nur zum Teil. Sicher wollen wir auch eine Idee vertreten, aber wir haben keinen Vertrag mit der PETA, wir sind keine Armee unter einem Führer, der für die weltweite Unterwerfung eintritt – Menschen können und werden immer das tun, was sie selbst für richtig entscheiden, und genau darum töten wir sie in unseren Texten (lacht)…


Ihr sprecht mit eurer Musik stets heiße Themen an – mit Wirkung? Ich meine, denkst du, dass du mit deinen Texten wirklich jemanden zum Nachdenken bewegst (sollte das eine eurer Intentionen sein)? Hat es Sinn, Musik mit textlichem Wert zu schaffen, zu politisieren, wenn du so willst, und nicht gut klingenden Schwachsinn zu produzieren? Oder anders gefragt: Macht ihr die richtige Musik für jenes ernste Thema?


Travis: Offensichtlich hat es tatsächlich Effekt – wir bekommen eine Vielzahl an E-Mails ebenso wie dass viele Menschen persönlich uns auf Konzerten ansprechen mit “Hey, ihr habt mein Leben verändert.” – ernsthaft. Es ist irgendwie beunruhigend in meinen Augen – denn es wirkt oft wie eine blinde Masse, die einen Gedanken idolisiert.
Die Musik kommt in meinen Augen definitiv zuerst – ich selber stehe auf Instrumentalmusik -, eine Stimme ist nur selten wirklich nötig, auch wenn sie sich hervorragend in eine Musik einfügen kann. Musik ist nicht Politik, da hast du recht – aber ich gebe lieber etwas, das Sinn trägt, von mir, als Unsinn über das Aufschlitzen und Vögeln von Frauen.



Zensur war stets ein trauriger Begleiter von CATTLE DECAPITATION und besonders in Deutschland hattet ihr eine Vielzahl an Problemen. Mit Metal Blade stärkend im Rücken und viel Blut und Schweiß dürfte das Ärgste überstanden, die Wogen geglättet sein. Zumindest haben CANNIBAL CORPSE vor euch bereits Erfolge in jene Richtung erzielt, was auch Auswirkungen auf Nachzügler wie CATTLE DECAPITATION haben wird. Und wo wir gerade bei Europa sind: Wann kann man erwarten, dass ihr euren „Insiderstatus“, den ihr hier genießt, mittels Tour und Co. in einen Namen umwandelt?


Travis: Ich denke, mit dem neuen Album befinden wir uns im Aufwind und gerade die Frage nach Zensur sollte sich wohl langsam in Klärung befinden. Und – wir werden kommendes Jahr Europa unsicher machen, dieses Mal definitiv. Wir befinden uns gerade in den direkten Vorbereitungen dazu, also sollte nichts mehr schief gehen…


Na fein, ich hoffe, wir dürfen dich beim Wort nehmen...


Travis: Darfst du und auf bald!


www.cattledecapitation.com

Autor: macabre

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Beitrag vom 20.10.2006
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