Interview mit DECAPITATED - Über Amerika, Kirche und Gerüchte


Nach diversen Verschiebungen und Absagen kam es schließlich doch noch zum Interview mit Covan, seines Zeichens Sänger unserer derzeitigen Leserchartleader DECAPITATED. Allerdings traf mich sein Anruf etwas unerwartet, hatte mir doch das Label am Nachmittag mitgeteilt, dass es wieder einmal Probleme gibt. Aber als am Abend am Handy-Display eine mir unbekannte Nummer mit der 48 als Vorwahl aufschien, war ich dann doch froh, noch am Schreibtisch zu sitzen und plauderte die nächste halbe Stunde mit dem nicht ganz unumstrittenen neuen Fronter der unumstrittenen polnischen Death Metal-Prinzen (als Könige muss man wohl weiterhin noch VADER bezeichnen).
Nach dem üblichen anfänglichen Geplänkel legte ein gut gelaunter Covan gleich los:

Die Amerika Tour war ausgezeichnet, wir haben uns den Bus mit HYPOCRISY geteilt und es war ein Riesenspaß und eine große Überraschung. Wir haben sehr viel gelernt und waren total überrascht davon, dass uns dort so viele Leute kennen und mögen.


Außerdem sind die Leute von HYPOCRISY ja auch nicht gerade dafür bekannt Kinder von Traurigkeit zu sein.


Ja, genau! Für Europa haben wir ja bereits einige Dates in Großbritannien, danach möglicherweise Frankreich, Deutschland, Tschechien, Österreich und Polen sowie die Sommerfestivals geplant und nach der Sommerpause wollen wir dann eben noch einmal mit HYPOCRISY auf Tour gehen.


Die Tour hat also anscheinend bleibenden Eindruck hinterlassen. Auch was die Fans angeht?


Wir hatten zu wenige CDs mit, weil wir nicht gedacht haben, dass wir so viele verkaufen würden. Nach ein paar Tagen waren wir ausverkauft. Das war fast schon schockierend.


Und wie waren die Reaktionen sonst so?


Das ist noch schwer zu sagen, aber ganz gut. Wir haben auf jeden Fall nicht mit so guten gerechnet.


Naja in unserem Magazin seid ihr auf jeden Fall auf Platz Nummer 1 der Lesercharts.


Wirklich? Da muss ich gleich Martin (Bassist der Band, Anm.) anrufen und es ihm erzählen. Danke.


Danke nicht mir, danke unseren Lesern. Aber es ist ja nicht so, dass ihr solche Erfolge nicht gewohnt wäret. Vor zwei Jahren (Ausgabe 04/2004) wart ihr zum Beispiel dritte und damit nur einen Platz hinter IRON MAIDEN im polnischen Metal Hammer. In eurem Heimatland müsst ihr also recht groß sein.


Das dachten wir auch, zumindest was die Death Metal Szene angeht, aber die USA und Kanada haben uns eines besseren belehrt. Natürlich haben die mehr Einwohner, trotzdem habe ich mir nicht gedacht, dass wir dort vor so großen Mengen spielen würden. Anscheinend gibt es dort eine größere Szene.


Du meinst also, dass es in Polen generell weniger Interesse am Metal gibt?


Schwierig zu sagen. Wir spielen hier schon auch immer vor einem Haufen Fans aber es sind eben nicht so große Mengen und sicherlich wären in den USA auch weniger Leute gekommen, hätten wir als Headliner gespielt.


Diese Bescheidenheit ist sicher angebracht, immerhin teilten sich DECAPITATED nicht nur mit HYPOCRISY sondern auch mit NILE, SOILENT GREEN und anderen die Bühne, trotzdem interessiert mich, warum Covan meint, die polnische Szene sei eher klein verglichen mit der amerikanischen. Spielt da vielleicht die katholische Tradition und die konservative Regierung eine Rolle?


Möglich. Mit dieser neuen katholisch-konservativen Regierung (seit vorigem Jahr ist Lech Kaczynski Präsident, die von seinem Bruder Jaroslaw geführte PiS ist stimmstärkste Partei und regiert in einer Koalition mit zwei anderen katholisch-konservativen Parteien, Anm.) ist das wirklich schrecklich. It`s getting fucked up! Ich habe gerade mit einem polnischen Radiosender geredet. Es handelt sich dabei um einen privaten Radiosender, die dürfen also theoretisch machen was sie wollen, eben auch Metal spielen, wie sie das tun. Das sollte man zumindest denken. Der Redakteur, mit dem ich redete, meinte, die örtliche Kirche macht ihnen seit neuestem ständig Probleme und will sogar zu Gericht gehen, damit die ‚satanische Musik’, die der Sender spielt, nicht mehr gesendet werden darf. Und es geht so weiter. Die Kirche kämpft gegen die Presse, nicht nur gegen die Metalpresse, sondern generell gegen alle, die etwas schreiben, was ihnen nicht passt, und sie fühlen sich sicher, weil sie den Staat in ihrem Rücken wissen. Das ist ziemlich schockierend und es wird immer schlimmer, fast schon wie bei den Nazis oder ähnlichen Staaten, einfach weil man befürchten muss, dass die Meinungsfreiheit verloren geht. Das Problem ist die fehlende Toleranz. Mich würden diese Leute ja nicht stören, sollen sie machen was sie wollen. Aber sie begreifen das einfach nicht und versuchen mir Steine in den Weg zu legen, wo es nur geht.


Du bist also anscheinend ziemlich interessiert an Politik?


Nein, das würde ich nicht sagen. Man muss nur einfach die Realität im Auge behalten, man darf nicht in Träumen leben und muss sehen, was rund um einen geschieht, sonst wacht man eines Tages auf und steckt im Gefängnis ohne etwas getan zu haben.


Was du über die Kirche gesagt hast, erinnert mich sehr an Gespräche, die ich in Slowenien mit Leuten aus der Metalszene hatte. Obwohl Österreich auch auf eine lange katholische Tradition zurückblicken kann und zur Zeit von einer Partei regiert wird, die die Nachfolgerin des ständestaatlichen Regimes ist, ist so etwas undenkbar.


Ja, es ist schon schockierend, was da teilweise bei uns in Polen abgeht.


Und würdest du auch Lieder schreiben über diese Begebenheiten oder über Politik generell?


Ich sage jetzt einmal nicht nein, aber es macht für mich zurzeit keinen Sinn, es passt nicht zu unserer Musik. Vielleicht irgendwann einmal, aber zurzeit halte ich es für besser, das nicht in die Musik zu bringen. Obwohl da gäbe es schon einiges wogegen man ankämpfen könnte, ich denke da nur daran, wie ich von der Polizei verprügelt worden bin auf einer Demonstration gegen den Krieg in Tschetschenien beispielsweise.


Also doch ein recht politischer Mensch, der gute. Aber kehren wir zum eigentlichen zurück, zur Musik.
Wie war es denn im Vorfeld der Veröffentlichung von „Organic Hallucinosis“? Ihr müsst doch nachdem ihr als Death Metal Wunderkinder gehandelt wurdet einen ziemlichen Druck gehabt haben den Erwartungen zu entsprechen?



Für mich war es sehr stressig. Bevor ich ins Studio ging, sprach ich mit Sauron (Ex-Sänger, Anm.) und im Studio dann mit Vogg (Gitarrist, Anm.) und den anderen und es wurde bald klar, dass es keine Kontinuität sondern einen klaren Wechsel, nicht nur was die Person, sondern auch was den Gesang selbst angeht, geben sollte. Also haben mich Vogg und Martin vier Tage durch alle Stimmlagen, die ich draufhab, gehetzt, ich habe alles zwischen doomig, thrashig, deathig und was weiß ich was ausprobiert und schließlich ist mein Stil dabei herausgekommen. Und ich finde das auch gut so, denn eine jede Band sollte sich stets weiter entwickeln.


Und was würdest du sagen ist neben dem Gesang noch anders als auf „The Negation“?


„Organic Hallucinosis“ ist mathematischer. Die Tempi, die Drums, alles mathematischer und komplexer als auf „The Negation“.


Das klingt ja sehr progressiv, da liegt auch der Verdacht von einem Konzept nicht fern.


Nein, Konzept gibt es keines. Die Texte verfassten Vogg und ich mit Hilfe von Freunden und ich nahm auch einiges an Material von meiner anderen Band ATROPHIA RED SUN. Wir haben dann versucht, die Worte an die Musik anzupassen. Sie haben kein bestimmtes Konzept und handeln von seltsamen Träumen, Halluzinationen und Drogenerlebnissen. Oder „A Poem About An Old Prison Man“, das auf einem Text von Charles Manson beruht.


Als ich voriges Jahr mit Martin auf dem Kaltenbach Open Air (übrigens war das KOA 2005 Covans erster Auftritt mit DECAPITATED, Anm.) geredet habe, erwähnte er, dass ihr MESSHUGGAH und TOOL sehr gern hört und ich fand das doch ein wenig ungewöhnlich, berücksichtigt man eure eigene Musik. Bei „Organic Hallucinosis“ schimmert da dann aber doch ein bisschen von dieser Vorliebe durch, wie ich meine.


Ja, Vogg, der ja unser Hauptsongwriter ist, kennt MESSHUGGAH und hört sie vermutlich auch, aber eigentlich war es Martin, dem voriges Jahr „Catch 23“ oder „Nothing“ in die Hände fiel und uns diese Band den ganzen Sommer über näher zu bringen versucht hat. Ansonsten steht Vogg aber sehr auf Klassische Musik wie Chopin oder Bach. Er und Vitek (Drummer, Bruder von Vogg, Anm.) genossen ja eine klassische Ausbildung.


Ist das vielleicht der Grund, warum sie schon so jung zur Musik gekommen sind?


Das wird es sicher sein. Sie waren schon früh auf einer Musikschule und hatten dadurch natürlich einen Vorteil gegenüber anderen Metalmusikern, die erst später und nur durch Eigenstudium ihre Instrumente erlernt haben.


Es tut mir leid, dass ich noch einmal auf Sauron zu sprechen kommen muss, aber was ist denn jetzt wirklich der Grund, warum er ausgestiegen ist?


Das waren mehrere. Zunächst hatte er Probleme mit seinem Asthma. Hätte er es nicht behandeln lassen, wäre das ein wirkliches Problem geworden. Zweitens wollte er einige Veränderungen privater und beruflicher Natur. Er arbeitete mit den Philharmonikern…


Also auch ein klassischer Musiker?


Nein (lacht), er hat früher in einem Theater gearbeitet und jetzt eben bei den Philharmonikern. Er ist für Organisation und Management zuständig. Das war eben ein Problem und zudem wurde die Band für sein Privatleben auch zusehends schwierig.


Und wie ist das jetzt mit seiner anderen Band, ANAL STENCH, da soll er ja noch dabei sein. Das habe ich zumindest gelesen.


Ich habe einmal gelesen, dass er dort ausgestiegen ist. Als ich ihn gefragt habe, hat er gemeint, das hätte er auch gehört, wüsste aber nichts davon. Es ist also eine etwas seltsame Lage und da sie eh keine Gigs spielen und sowieso drei Sänger haben, auch eher egal…


Apropos: andere Bands. Bei den bereits erwähnten ATROPHIA RED SUN spielst du ja auch mit einem anderen DECAPITATED-Mitglied…


Nein. Martin hat uns nur bei den Aufnahmen geholfen, dass er eingestiegen ist, ist nicht wahr. Anscheinend ein weiteres Gerücht. Aber wenn wir schon bei Gerüchten sind: stell doch bitte klar, dass Martin eh auch noch bei DECAPITATED ist – das Gerücht von seinem Ausstieg kursiert nämlich auch. Er arbeitet zur Zeit an unserer neuen Homepage, was mich auf ein weiteres Gerücht bringt, das ich allerdings bestätigen muss: Wir haben uns nach der Kanada-Tour von Massive Management getrennt und mit Empire Records haben wir auch nichts mehr zu tun. Stell das bitte klar.


Werd ich ausrichten. Danke dir auf jeden Fall für das Interview.


Ja ebenfalls. Maybe we’ll see each other in Österreich.


Oder am Metalcamp. Also dann: Czesc!


Czesc“.


www.decapitatedband.net

Autor: Kronos

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Beitrag vom 09.03.2006
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