Interview mit YNGWIE J. MALMSTEEN - kratzt an der Oberfläche


Vor dem glorreichen Auftritt des Gitarren-Paten YNGWIE JOHANN MALMSTEEN im Wiener Planet Music am 22.3.2003 fand ein Round Table statt. Hier soll ein Eindruck des etwa 30-minütigen Gesprächs zu lesen sein. An sich wäre es fast nicht notwendig gewesen, Fragen zu stellen, denn der ausgesprochen gutgelaunte Wahlamerikaner sprudelte nur so aus sich heraus, was auch bedingt, dass Gedanken oft nicht gleich zu Ende erzählt wurden, da der Schwede nahezu andauernd vom Hundertsten ins Tausendste kam. Gelegentlich fanden jedoch auch schreibende Kollegen so wie auch ich die Gelegenheit, Fragen zu stellen ….



Wie läuft die Tour bis jetzt?


Extrem gut, echt extrem gut. Ich weiß nicht warum, aber es ist perfekt! Es muss mit dem neuen Album zu tun haben. Die Reaktionen sind unglaublich. Entweder muss sich die europäische Szene verändert haben, oder am Album ist etwas anders oder die Plattenfirma hat etwas anders gemacht. Überall kommen die Leute nur zu mir und meinen wie begeistert sie nicht wären.


Wie bist du persönlich mit dem Album zufrieden?


Ich bin definitiv zufrieden…. Skol! (Er unterbricht sich selber, um mit den Anwesenden anzustoßen – Anm. d. Verf.) Also, in den letzten zwölf Jahren bin ich immer in mein Studio gegangen, also ich habe eigentlich zwei Studios in meinem Haus … du musst wissen, das sind aber keine kleinen Sachen, um Demos aufzunehmen, sondern das ist „the real fucking deal“…


Die Bilder, die auf deiner Website zu sehen sind zeigen dein Studio. Korrekt?


Website … (lacht) .. also ich verwende überhaupt keine Computer.


Du gehst die Sache also komplett analog an?


Ebenfalls nein, ich nehme komplett digital auf. Die meisten Leute kaufen sich Pro Tools, das ist ein Programm für den Computer. Das mache ich nicht. Ich verwende etwas, das Hard Disc Recording heißt. Das Ganze ist 100% digital, 24 Bit auf 24 Spuren. Das läuft wie in einem normalen … äh wie in jedem Studio. Das ist dann verbunden mit einem großen, nein riesigen Mischpult. Das Equipment ist immer bereit, alles mikrophoniert, nichts direkt. Dazu hab ich 96 virtuelle Spuren. Ich habe noch weiteres Equipment, das verwende ich aber nicht mehr, weil es komplett unnötig ist. (Es folgten noch weitere leicht konfuse und etwas sprunghafte Anmerkungen über das weitere Equipment - Anm. d. Verf.)
Heute nehme ich z.B. ein Livealbum auf. Ich habe draußen beim Mischpult einen 24 Spur Hard Disc Recorder stehen mit zwei Laufwerken dabei. Auf jedes Laufwerk gehen sechseinhalb Stunden Musik drauf. Das ist das beste Medium, das ich je zum Aufnehmen gefunden habe. Digitales Aufnehmen allerdings macht Scheiße aus dem Sound.
So, wo war ich eigentlich? Ja genau, „Attack!“. (Titel des aktuellen Albums - Anm. d. Verf.) Als ich anfing die Lieder für „Attack!“ zu schreiben, beschloss ich, dass das Konzept sein würde, kein Konzept zu haben. Im Gegensatz zu „War To End All Wars“ (2000), da wollte ich dieses (gibt ein Grunzen von sich – Anm. d. Verf.) dunkle Metal-Feeling haben. Davor auf „Facing The Animal“ (1997) da hatte ich zu viele Leute um mich. Cozy Powell (RIP! Drums, Ex-RAINBOW, Ex-BLACK SABBATH, etc.) war gut, aber ich bin mit dem Album nicht so zufrieden. Jetzt mit „Attack!“ war es das erste Mal seit Jahren, dass ich keinen Keyboarder im Raum hatte und auch keinen Drumcomputer. Da war nur ich und ich spielte einfach mit einem Riff oder einer Melodie herum, bis es mir gefiel. Ich habe etwa 30 bis 40 Songs geschrieben. Ich habe keine Demos aufgenommen, da war noch immer alles offen. Dann habe ich meinen Drummer Patrick angerufen und gemeint, ich hätte da einige großartige Sachen. Wir haben uns dann in meinem Studio getroffen, also ich habe da ja noch ein Studio, das Baroque `N´ Roll heißt – das ist besonders gut zum Aufnehmen von Drums. Ich habe ihm dann nichts vorgespielt, sondern nur Click (Metronom – Anm. d. Verf.) auf die Kopfhörer gegeben und gemeint jetzt rocken wir. Er hatte keine Ahnung von den Songs, weil sie ja nur in meinem Kopf waren, aber ich habe ihm dann gesagt, was geil war und was wir dann verwenden würden. Dann habe ich ein wenig Bass, ein paar Keyboards und Soli dazugegeben. Dann kam Doogie, ich drückte ihm ein Blatt Papier in die Hand – „Rise Up“ – und meinte „hier hast du den Text und das ist die Melodie.“. Er machte das Ganze zum ersten Mal und genau das ist es, was am Album zu hören ist, und zwar bei jedem verdammten Song. Das macht den Unterschied aus auf diesem Album. Im Normalfall hast du ein oder zwei Leute, die die Songs schreiben, das kommt auf die Band an … die nehmen die Songs dann auf, bringen sie zu den anderen, die üben ihren Teil und dann wird es aufgenommen. Da kommt dann die dritte Generation ins Studio. So wie ich es gemacht habe, ist das die erste Generation. Das ist genau das gleiche was DEEP PURPLE in den Siebzigern machten. Auf „Machine Head“ (1972) gingen sie ins Studio und hatten kein einziges Lied geschrieben. Sie haben alles dann im Studio geschrieben.



War es das erste Mal, dass du so gearbeitet hast?


Ja, normalerweise stehen Bassisten oder Keyboarder herum, aber hier habe ich echt alles der Inspiration überlassen. Ok, ich habe den Luxus so leben zu können, wie ich möchte. Wenn ich etwas nicht tun möchte, dann lasse ich es. Ich kann in den Pool gehen oder Tennis spielen, an meinem Auto arbeiten … nein, an meinen Autos. Ich überlasse es der Muse zu kommen. Das ist ein total geiler Platz, an dem ich wohne. Ich kann dir dort echt alles machen. Was möchtest du? Flamenco, Reggae, Heavy Metal? Möchtest du JUDAS PRIEST? Kein Problem und du bekommst das am selben Tag. Aber, der Witz ist, dass mir das genau nichts bedeutet. Wenn nichts geht, setze ich mich hin sehe fern. Wenn es nicht geht, geht es nicht und ich erzwinge es dann auch nicht. Ich kann ja auch einfach runter in die Küche gehen und ein Bier trinken. Der Vorteil ist, dass ich eben den Vorteil habe, ein Studio zu haben. Wenn du in einem Studio sitzt, musst du dort produktiv sein, weil das Geld läuft, ich muss das aber nicht. Ich schreibe dann einiges und das, was echt am Besten ist, verwende ich. Dadurch, dass ich ohne Konzept gearbeitet habe, konnte ich die absolut besten Songs auswählen, wenn du hingegen eine Linie fahren musst, geht das nicht… Vergleiche doch „Rise Up“ mit „Majestic Blue“! Geht nicht!


Hat es da vielleicht irgendwann Druck seitens der Plattenfirma gegeben, dich in eine bestimmte Richtung zu bewegen.


Ich habe es nie erlaubt, dass mir bei der Musik etwas vorgeschrieben wird. Ich höre mir gerne Vorschläge an, und nehme Ratschläge an, aber am Ende mache ich genau was ich möchte. Ich bin der Boss! (lacht)




Worum geht es in “Ship Of Fools”?


Das Riff war einfach catchy, sehr Bach inspiriert. Aber textlich gesehen? (lacht) Textlich ist es einigen Leuten, die ich im Laufe der Jahre kennen gelernt habe, gewidmet. Hm… Niemand weiß wer das ist. Sie müssen auf dem “Ship Of Fools” segeln ….


Wie wichtig sind Texte für dich?


Sie haben nichts für mich bedeutet. Auf den letzten Alben haben sie aber an Bedeutung gewonnen. Ach ja, ich schreibe meine Texte in der Küche. Ich nehme einen Song auf, setze mich in die Küche, höre mir die Melodie an, und schreibe dann, was mir einfällt. Ich bin an einem recht düsteren Platz aufgewachsen, habe aber in den letzten Jahren im Paradies gewohnt. Das hat einiges geändert.


Du hast vor einigen Jahren auf einem Konzert hier (im damaligen Rockhaus – Anm. d. Verf.) selbst gesungen, weil dein Sänger krank war. Auf dem aktuellen Album hast du auch einiges gesungen. Werden wir mehr von dir bekommen?


Es hat gut funktioniert, aber ich sehe nicht die Notwendigkeit dazu. (Einwurf von Yngwies anwesender, reizender Gattin, die übrigens eine immanente Ähnlichkeit zur Latino Schönheit SHAKIRA hatte: „Ja ihr werdet ihn wieder hören!“) Ich wäre nicht überrascht, wenn es wieder passieren würde. Ich muss aber jetzt auf jeden Fall folgendes sagen: alle Sänger, die ich je hatte, waren gut.


Hast du besondere Kriterien nach denen du deine Sänger auswählst?


Ja und nein. Sie müssen erstens sauber und richtig singen. Sie müssen ein gutes Vibrato und einen großen Tonumfang haben. Das wichtigste ist, dass sie das richtige Feeling für die Musik haben. Das Problem der meisten Sänger ist, dass sie glauben, sie stehen über allem drüber. Für mich sind sie aber nur Musiker. Nichts anderes als ein Bassist oder ein Drummer. Das Ganze ist ein Ensemble und ich schreibe für jeden seine Stücke. Nimm dir Vivaldi her oder Paganini oder Bach: wenn die ein Konzert für die Flöte geschrieben haben – und sie haben nicht Flöte selbst gespielt – dann ist der Solist der Flötist, aber dieser Solist spielt genau das, was ihm der Komponist vorgeschrieben hat. Im Rock `N´ Roll ist das vielleicht unüblich, aber es ist die Art, wie ich es mache. Deswegen nenne ich es Baroque `N´ Roll. (lacht)


Ist es für dich eine Herausforderung, wenn du auf Tour (wie auch auf der letzten) zu Plätzen kommst, an denen du noch nicht gespielt hast?


Natürlich ist es aufregend neue Orte kennen zu lernen, aber wenn ich ehrlich bin, ist es mir egal wo ich spiele. Wenn ich auf die Bühne gehe, dann gebe ich die beste Show, die ich geben kann. Natürlich ist es interessant neue Länder zu sehen, aber das beeinflusst die Show nicht. Das ist auch so gut, wie gut es heute Abend sein wird. Es bringt doch nichts zu sagen, ich war heute Scheiße, aber in Rom war ich echt gut. Wenn die Leute brüllen und jubeln und ich mir aber denke, es läuft Scheiße, bewirkt es nicht, dass ich dann trotzdem mit dem Konzert zufrieden bin. Ich muss gut spielen und der Menge eine gute Show liefern!


Nimmst du einen Unterschied zwischen Europa, Japan und den USA wahr?


In den USA hast du einen riesigen Markt mit 180 Millionen Leuten (die Zahl ist nicht korrekt, aber egal ;-) – Anm. d. Verf.). Der Markt ist total schnelllebig. Da gibt´s BRITNEY SPEARS, N´SYNC und KID ROCK, nächste Woche ist wieder wer anderer dran. Das ist an der Oberfläche so. Das sind die Medien, die Magazine, das Radio, aber nicht die Leute. Ich kann an jedem beliebigen Abend in jeder beliebigen Stadt in den USA eine Halle mit 2000 Leuten ausverkaufen. Das ist aber nicht in den Medien. House Of Blues, Chicago, 2500 Sitze, kein Problem. Es ist die beste Art wie es ablaufen kann. Es gibt eine große Nachfrage nach gutem Metal, egal ob das jetzt PRIEST, HALFORD, DIO oder wer auch immer ist, nur ist das eben nicht an der Oberfläche oder in den Medien. Wenn du hier in Europa das amerikanische MTV, VH-1 oder den Metal Hammer siehst, bekommst du ein falsches Bild. CREED zum Beispiel spielen absoluten Shit Metal aber sie verkaufen scheiß viele Platten. Und das ist nur so, weil sie den ganzen Tag im Fernsehen sind. Es isst ja auch nicht jeder Amerikaner nur bei McDonalds. Wenn du aber den Fernseher aufdrehst, wirst du alle fünf Minuten einen Spot von ihnen sehen. Wenn du an der Oberfläche kratzt, dann siehst du alles komplett anders. Europa ist großartiger Markt und ich liebe es hier zu sein. Japan ist nicht mehr so gut wie es war, da geht alles den Bach hinunter, weil sie kein Geld mehr haben. Kennt ihr das japanische BURN Magazin? Die verkaufen jetzt 25% weniger als vor zehn Jahren.




An dieser Stelle wurde der Round Table vom Promoter beendet, da noch der Kollege Rober Pöpperl vom ROCK HARD auf seinen Termin wartete. Es wurde also die Frage nach der letzten Frage in den Raum gestellt.


(lacht und unterbricht) Also erstens ist das ein eckiger und kein runder Tisch und zweitens habe ich Spaß, weshalb sollte wir also Schluss machen? Na gut, also was wollt ihr noch wissen?


Ok, warum spielst du ausgerechnet nur Fender Stratocaster (die klassische E-Gitarre schlechthin – Anm. d. Verf.)?


Die waren die ersten. Wenn du dir die alten Meister hernimmst, Hendrix, Blackmore, egal wen, sie spielten Strats, weil das die originale E-Gitarre ist. Ich bin ein Purist. Wenn du nachdenkst 1954 haben die diese Gitarre gebaut und da hat sich nichts geändert. Schau dir die Gitarren von Ibanez oder Jackson an, das sind alles nur Kopien von genau diesem Original. Ich sehe das auch bei meinen Ferraris so. Ich muss ganz einfach das Pure, das Wahre haben. So einfach ist das!
Manchmal fragen mich übrigens die Leute, ob ich ihnen nicht eine Gitarre schenken kann, weil ich ja so viel habe hahahaha….



Ein gutes Schlusswort für ein Gespräch mit einem äußerst sympathischen Gegenüber. Über das darauf folgende überirdisch gute Konzert haben wir bereits berichtet.

yngwie.org

Autor: Gore

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Beitrag vom 07.04.2003
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