Interview mit HYPOCRISY - Ich glaube an mich, nicht an irgendeinen Gott!


Am Metalfest Vienna sollten Kollege Macabre und meine Wenigkeit ein Interview mit Peter Tägtgren führen. Wir fanden uns dazu pünktlich nach Ende des HOLLENTHON-Auftritts beim vereinbarten Treffpunkt ein, um mit ein paar schreibenden Kollegen eine Art "Round Table" mit dem prominenten Schweden abzuhalten. Eine Runde war es, Tisch gab es keinen.
Auf einem halbwegs lärmgeschützen Platz in der Auffahrt der Arena (denn EDGUY fingen gerade an, die Mende zu beschallen) platzierten wir uns in einer Runde auf den Boden und los ging´s. Nachdem niemand der anwesenden Schreiberlinge Anstalten machte den Anfang zu machen, legten Kollege Macabre und ich unsere Bescheidenheit den anderen gegenüber ab und ergriffen schließlich das Wort.


Earshot: In der Vergangenheit hast du dich sehr intensiv mit den Thematiken Science Fiction und Fantasy beschäftigt. Das hat man auch in den Lyrics von HYPOCRISY beziehungsweise im Artwork gemerkt. Wie sieht es jetzt aus?


Peter: Ja, Fantasy und Science Fiction, das war früher. Die Texte der neuen CD sind auf einem viel persönlicheren Level angesiedelt. Auf „Abducted“ (1996) und auch auf „The Final Chapter“ (1997) hat sich viel um Aliens gedreht. Ich bin jetzt aber eher von dem Thema weggegangen.


Earshot: Du sagst "persönlicher" - was meinst du damit genau? Bei den Interviews nach der „Abducted“ Tour war zu lesen, dass du auf der Tour selbst viel Scheiße gebaut hast, intensiv Drogen konsumiert hast usw. Wie dürfen wir die Aussage "persönlichere Texte" also verstehen?


Peter: Meine Lebensweise hat sich damals auch auf die Musik ausgewirkt, diesmal beziehe ich das aber nur auf die Texte, die jetzt mehr wir eine Art Tagebuch gestaltet sind. Ich weiß nicht, wie es das nächste Mal aussehen wird. Wir haben noch nicht angefangen, die Musik zu schreiben. Wir wollen warten, bis wir spüren, dass etwas rauskommt - dann erst ist es Zeit, Musik zu scheiben.


Earshot: Habt ihr auf „Catch 22“ spezielle Einflüsse verarbeitet? Man kann recht klar Teile raushören, die an SLIPKNOT und Co. erinnern...


Peter: „Into The Abyss“ war damals von meiner Zusammenarbeit mit LOCK UP, DESTRUCTION und IMMORTAL beeinflusst. Wir wollten daher wieder Mal ein brutales Album machen. Wir wissen nie was wir machen, bevor es fertig ist - und Einflüsse von SLIPKNOT? Leicht möglich...
Was mir bei HYPOCRISY immer gefehlt hat, war Gitarrenrhythmik. Es war immer alles eher akkordbasiert - dann ist es einfach so gekommen. Wir haben das gespielt, einfach straight und fertig.



Earshot: War „The Final Chapter“ (1997) zu dem Zeitpunkt tatsächlich als letzte Scheibe unter dem Banner "HYPOCRISY" gedacht und somit als Aus für die Band geplant, oder versteckte sich hier nur ein Werbegag seitens Nuclear Blast, um euch etwas zu pushen?


Peter: Zu dem Zeitpunkt, als wir anfingen das Album aufzunehmen, war echt die Situation eine Katastrophe. Das Klima war Scheiße, alles war Scheiße. Wir haben beschlossen, den Titel wegen des Lieds zu wählen - es ist ein cooles Lied. Tja und dann hat uns die Plattenfirma davon zu überzeugen versucht, weiterzumachen und wir haben das schließlich nach den Fanreaktionen auch selbst eingesehen.


Earshot: Nach einem Livealbum kam dann das selbstbetitelte Album (1999) heraus - können wir aufgrund des geplanten Aus bei "The final chapter" den Titel "Hypocrisy" als eine Art Wiedergeburt der Band sehen?


Peter: Ja, schon. Es war ein Neuanfang und wir haben angefangen, alle alten Alben herzunehmen und das Zeug zu mischen, um wieder etwas neues zu machen - das Endprodukt ist ein Mix aus hauptsächlich Gothic Zeug und Hartes.


Earshot: Wenn du dann zurückblickst, gibt es einen persönliche Fave unter allen HYPOCRISY Alben?


Peter: Also ich mag das neue im Moment sehr gern. Es ist schön roh. Aber, ich weiß nicht ... für das nächste Album werden wahrscheinlich ein paar langsamere Songs entstehen. Auf die Art wie „Until The End“ oder „Fractured Millenium“. Die Ideen sind aber noch nicht da, mal sehen was rauskommt. Wir haben ja noch nicht angefangen.


Earshot: Was ist momentan wichtiger für dich, HYPOCRISY oder PAIN?


Peter: Ich versuche da zu differenzieren. Das wird das letzte HYPOCRISY Konzert für dieses Jahr sein. Wir werden zwar im November noch ein paar Gigs in Japan spielen, aber das war´s dann. Das restliche Jahr gehört PAIN, danach werden wir ein neues Album angehen.
Ich muss mich immer auf das einstellen, woran ich arbeite - ich muss mich ja auch auf eine Tour vorbereiten und es dauert bei mir immer eine Weile, zwischen beiden Bands umzuschalten...



Earshot: Betreffend PAIN, wie bist du auf die Idee zum „Shut Your Mouth“ Video gekommen? Ich kann nur sagen, ich bin vor Lachen vorm PC weg gebrochen...


Peter (lacht): Die Idee kam nicht von mir - sie kam vom Produzenten und ich fand es eine coole Story und daher wurde sie realisiert. Er kennt HYPOCRISY und meine Arbeit nicht, deswegen war er auch nicht davon beeinflusst, solltest du das vielleicht denken...


Earshot: Wie ist es zur BEATLES Coverversion auf der neuen PAIN Scheibe gekommen?


Peter: Ich habe schon daran gedacht ein Coveralbum mit PAIN zu machen und ich war auch immer schon ein BEATLES-Fan. „Eleanor Rigby“ ist das verrückteste Lied, das sie haben, drum musste ich das covern! Es war recht lustig, als im Studio ein 16-Mann Orchester herumgelaufen ist. Echte Strings sind mir aber natürlich lieber als solche vom Keyboard hehe. War auf jeden Fall eine gute Erfahrung, mal mit einem Orchester zusammenzuarbeiten. Wenn ich jetzt am Keyboard Strings auswähle, wünsche ich mir wieder mit echten arbeiten zu können.


Earshot: Wer hatte die Idee zur „Ten Years HYPOCRISY“ Box beziehungsweise was war der Gedanke dahinter?


Peter: Eigentlich war es meine Idee. Wir wollten irgendwo das Maximum auf eine CD draufpacken und etwas besonderes mit einigen Raritäten machen.


Earshot: Seid ihr der Meinung, dass die alten Songs aufgrund von schwächeren Produktionen an Atmosphäre eingebüßt haben und somit mit Nachbearbeitung auf der Box um einiges heavier und besser rüber kommen?


Peter: Ja, wenn wir die Sachen live spielen, ist das Ganze dermaßen heavier - wir haben Sachen für die Box neu aufgenommen, um sie mit einem besseren Sound dastehen zu haben. Wenn jemand den Sound nicht mag, kann er immer noch auf die alten zurückgreifen - und uns ist es bewusst, dass einige den rauhen Charme der Urversionen lieber haben...


Earshot: Ja, ich denke, ich bleibe lieber bei den Originalen haha...
Du hast einmal gesagt, dass das Abyss Studio die Basis für deine familiäre Existenz sei, jetzt hört man, dass du mit dem Produzieren aufhören möchtest, wie geht sich das aus?



Peter: Ja, früher habe ich davon gelebt. Jetzt verdiene ich mein Geld damit, rauszugehen und zu spielen - das geht gut. Außerdem ist das Ganze viel zu uninteressant geworden, es waren nur mehr lauter Durchlaufer. Ich möchte jetzt maximal zwei Platten pro Jahr produzieren, und die dafür so gut wie möglich. Ich lege da viel Energie hinein. Mein Bruder produziert aber immer noch im Abyss.


Earshot: Wieviele Bands hast du in der Zeit aufgenommen?


Peter: An die 200.


Earshot: 200 verschiendene?!?!


Peter: Nein, nein (lacht). Ich weiß nicht, wieviele Bands. Aber alles in allem - vom Demo bis zum Album werden es insgesamt um die 200 Stück gewesen sein.


Earshot: Wie sieht es aus mit Bands, die sich mit einem “Produced by Peter Tägtgren” Stempel hervorheben wollen beziehungsweise damit auf Promo-Tour gehen?


Peter: Ich mag das nicht. Das Beste ist, dass ich nur etwa 20 Prozent der Bands produziert habe, die sich mit meinem Namen rühmen. Der Rest hat das Studio gemietet und ich war nur als Engineer tätig - und trotzdem schreiben sie mich als Produzenten hin. Ich bin echt müde davon, das kotzt mich an.


Wie stark nimmst du Einfluss auf das Material, das in deinen Studios produziert wird? Kannst du dich da zurückhalten, wenn dir etwas nicht so gefällt oder sagst du dann schon "Hey Leute, probierts doch mal so...!"?

Wie jeder gute Produzent gebe ich natürlich auch Tipps, aber mein Einfluss ist da eher gering - ich arbeite mit versierten Musikern zusammen und die wissen schon, was sie tun, da brauche ich mich nicht mehr großartig einzumischen...


Earshot: Produzierst du lieber PAIN und HYPOCRISY oder fremde CDs, was fällt dir leichter?


Peter: Es ist immer einfacher, fremde Sachen aufzunehmen. Bei den eigenen musst du immer an so viele Sachen denken. Das ist viel anstrengender und nervtötender - gern gemacht habe ich die Sachen mit MARDUK oder IMMORTAL, da wir sind sehr gute Freunde sind.


Earshot: Relapse Records haben vor „Osculum Obscenum“ (1993) eine vier Track EP mit Demoversionen herausgebracht. War das von eine Idee von euch oder habt ihr damit „nichts zu tun“?


Peter: Doch, doch. Sie wollten damals so eine Underground Serie machen und für uns war es ok. Es sind die Demos zum Album, der Sound ist dementsprechend roh, aber passt zu den Songs. Am Album ist die Produktion etwas zu clean geraten, finde ich persönlich - daher ist die EP auch ein gutes Ding...


Earshot: Die Aufmerksamkeit der Medien konzentriert sich fast nur auf deine Person. Wie kommen die anderen damit klar?


Peter: Die sind happy damit, sie sind froh, dass sie nichts damit zu tun haben und ihre Ruhe bekommen (lacht). Ich denke, ich bin quasi das Sprachrohr der Band geworden - jede Band braucht so was, es ist immer so ... naja, zumindest fast immer...


Earshot: Gut, dann erzähl eine wenig über die anderen - von Lars hört man, dass er ein wenig im Abyss arbeitet, aber was ist mit Mikael?


Peter: Ist gut! Also Lars hat bei einigen Produktionen mitgearbeitet, das stimmt. Mikael arbeitet auch mit DARK FUNERAL seit einiger Zeit - wir haben alle keine Jobs mehr und leben davon zu spielen. Ich bin es mittlerweile gewohnt, dass das so läuft, obwohl es stellenweise schon etwas hart ist.
Jetzt kommt dann die achtwöchige Tour zusammen mit PAIN und IN FLAMES, aber ich muss das machen - für meine Bands und trotz des Stresses ist es ja doch auch ein riesiger Spaß!



Earshot: Würdest du heute HYPOCRISY überhaupt noch als Death Metal bezeichnen?


Peter: Ich denke, bei uns war immer alles drinnen - ein wenig Gothic und Death Metal und was weiß ich... Wir mischen alles, was uns gefällt. Ok, am Anfang auf den ersten beiden Alben war das Ganze eher Death Metal-lastig, dann haben wir halt mehr die Gothic-Einflüsse verarbeitet. Wir nehmen normalerweise alle Songs auf, die wir haben und setzen uns dann zusammen und entscheiden, was gut ist und was nicht, beziehungsweise was auf das nächste Album raufkommt und was nicht. Die schlechten heben wir dann halt auf (lacht) - für Compilations oder Bonussongs und so weiter...


Earshot: Hat der Name HYPOCRISY für euch (noch) eine Bedeutung?


Peter: Es war unser alter Sänger (Masse Broberg aka Caligula @ DARK FUNERAL – Anm. d. Verf.), der mit dem Namen gekommen ist. Anfänglich haben wir uns auch mit Religion beschäftigt, aber das war seit jeher hauptsächlich Masse. Ich persönlich glaube an mich, nicht an irgendeinen Gott...


Earshot: Viele Death Metal Bands haben Nuclear Blast verlassen, einige sind wieder zurückgekommen. Wie sieht die Situation bei euch aus beziehungsweise was denkst du über die laufende Flucht und reumütige Heimkehr?


Peter: Ich kann nur für HYPOCRISY sprechen und Nuclear Blast ist das beste Label für uns. Wir bekommen bei ihnen alles was wir brauchen - sie promoten uns ordentlich, stellen die notwendigen Gelder zu Verfügung und so weiter. Das ist, was wir brauchen - und was andere Bands bekommen oder auch nicht, geht uns nichts an und wir haben logischerweise auch keine Informationen darüber...


Earshot: Wie wählt ihr die Songs für eure Konzerte aus? Ist da nicht die Gefahr gegeben, sich immer zu wiederholen?


Peter: Wir spielen meist die Sachen der Box gespielt, da das die Songs sind, die die Fans gewählt haben. Also denken wir auch, dass es die sind, die sie live hören wollen. Naja und alles können wir auch nicht spielen - wir haben ja einen neuen live Gitarristen und der kann auch noch nicht alle Songs. Er ist aber ein echt guter Gitarrist, viel besser als ich. Er ist aber nicht durch andere Bands bekannt. Er kam vom Death Metal, spielte dann andere Sachen wie Rock, Jazz, was auch immer. Eigentlich ist er ein Bassist, der dann auf so verrückte Sachen wie Frank Zappa etc. eingekippt ist. Wir sind echt zufrieden und es klappt gut.


Earshot: Stimmt es, dass Lars (Szöke, der Drummer - AdV) einige Gitarren für das letzte Album eingespielt hat beziehungsweise, dass er auf dem Debüt dafür nicht alle Drums selbst gespielt hat?


Peter: Ja, manchmal tauschen wir die Instrumente. Ich spiele eigentlich schneller Drums und er ist ein besserer Gitarrist, was Riffing und so angeht. Die Band ist jetzt in der Besetzung wie sie ist, was uns aber nicht daran hindert, beim Aufnehmen mal Parts vom anderen zu übernehmen. Wir machen das, was wir für das Einfachste halten - live klappt es aber immer, dass wir nicht bei bestimmten Parts die Instrumente wechseln müssen (lacht).
Auf „Penetralia“ (1992) haben wir alles komplett getriggert - die Sounds waren nicht allzu gut, und er hat etwa 80% selbst gespielt. den Rest ich.



Earshot: Du hättest ja angeblich bei MALEVOLENT CREATION Drums spielen sollen...


Peter (lacht): Ja, das war Mitte der Neunziger. Phil (Fasciana, Gitarrist bei MALEVOLENT CREATION – AdV) und ich kennen uns schon lange und haben damals herum gejammt, aber das hat natürlich nicht geklappt.


Earshot: Phil hat gesagt, du seist nicht schnell genug gewesen und nach spätestens Song Nummer zwei sei dir die Luft weg geblieben...


Peter: Mooooment (lacht)!! Damals vielleicht, aber hör dir mal „Into The Abyss“ (2000) an ... na ja egal (lacht).


Earshot: Wie sieht es mit dem Projekt ABYSS aus?


Peter: Es war cool, die beiden Alben gemacht zu haben, aber wenn wir jetzt noch eins rausbringen würden, dann würde es heißen, wir machen das nur wegen des Geldes wegen. Man kann also sagen, dass das Projekt nicht mehr existiert, höchstens noch auf dem Papier.


Earshot: Ihr habt dreimal am Wacken Open Air gespielt. Welches war das beste Mal?


Peter: Heuer war geil. Das erste war auch cool, wo wir das Live Album aufgenommen haben, vor zwei Jahren war es aber nicht so gut - die Bühne hat uns gestört, für uns ist die zu groß. Wir hätten lieber im Zelt gespielt, aber sie haben uns natürlich nicht gelassen. Du sollst dann oben stehen auf der Riesenbühne und dich wie METALLICA fühlen, doch das bist du nicht! Heuer war es auf jeden Fall besser. Auf Festivals ist das immer chaotisch, du hast keinen Soundcheck, etc. Das Summerbreeze war auch ein cooles Festival, nicht so groß wie das With Full Force oder Wacken, hat uns aber dennoch gefallen!


Earshot: Sind dir also Clubgigs lieber als Open Air Konzerte?


Peter: Das kommt drauf an, kleine Open Airs so wie das Summerbreeze oder heute hier sind cool, aber sonst spielen wir lieber in Clubs, ja!


Earshot: Wie oft ist euch auf Tour denn schon der Bus eingegangen?


Peter: Ich denke, auf jeder Tour einmal oder so. Aber DARK FUNERAL hat es schlimmer erwischt - denen ist einmal auf einer Tour der Bus in sechs Wochen NEUN Mal eingegangen!! Ich glaube, ich wäre da durchgedreht (lacht)...


Earshot: Hast du irgendwelche speziellen Erinnerungen an Österreich?


Peter: In Österreich ist es immer sehr gut für uns gelaufen. Wenn ich mir den Support von den Fans ansehe, ist Österreich fast am besten für uns. Ok, Österreich ist ein kleines Land im Vergleich zu Deutschland, aber die Fans waren immer unglaublich loyal.


Earshot: Gute Schlussworte. Für uns wars das, möchtest du noch etwas an unsere Leser loswerden?


Peter: Ich hoffe wir sehen uns auf der Tour mit IN FLAMES. Bis dann und danke fürs Interview!



www.hypocrisy.tv

Autor: Gore

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Beitrag vom 22.09.2002
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